Gabriel: Von der Atomkraft verabschiedet wegen  unbeherrschbare Risiken
Gabriel: Von der Atomkraft verabschiedet wegen
unbeherrschbare Risiken

Interview mit der atompolitischen Sprecherin der GRÜNEN-Fraktion im Bundestag, Sylvia Kotting-Uhl:

Deutschland hat sich von der Nuklearenergie verabschiedet, weil sie mit erheblichen, nicht beherrschbaren Risiken verbunden ist,” hat Bundeswirt-schaftsminister Sigmar Gabriel vor wenigen Tagen bekanntgegeben. Und damit deutlich gemacht, dass die Bundesregierung künftig den Export von Atomanlagen, wie zum Beispiel nach Brasilien, nicht mehr fördert. Perfekter Anstoß zur WM Zugleich hat der Minister  aber auch betont: “Diese Risiken (der Atomenergie) bestehen im Ausland gleichermaßen.” 

Neun Atomkraftwerke sind in Deutschland noch bis mindestens 2022  am Netz. Acht  sind bereits stillgelegt.  Anlass für Umwelt und Energie-Report die Sprecherin der GRÜNEN-Fraktion im Bundestag, Sylvia Kotting-Uhl, danach zu befragen wer und in welcher Höhe nach einem schweren Unfall in einem deutschen Atomkraftwerk und wer, wie und in welcher Höhe bei einem schweren Atom- Unfall im europäischen Ausland haftet. Dazu wollten wir wissen, ob Atomkraftwerke im In- und Ausland ausreichend gegen mögliche Cyber-Sttacken geschützt sind oder, ob sie die sichtbaren Atombomben im eigenen Land sind.

Frage: Die mangelnde Akzeptanz von Atomkraftwerken bei der Bevölkerung hat auch damit zu tun, dass angenommen wird bei einem Unfall wie dem im japanischen Fukushima müsse letztendlich
der Steuerzahler wieder den größten Teil der Zeche zahlen. Nun wollte der deutsche EU-Kommissar für Energie, Günther Oettinger, im Frühjahr einen Vorschlag vorlegen um europaweit eine einheitliche Haftpflichtversicherung von Unfällen neu zu regeln. Erwarten Sie, dass damit künftig alle Folgeschäden beglichen werden können?

Sylvia Kotting-Uhl: " Ein Atom-Fan wie Sylvia Kotting-Uhl: "Günther Oettinger ist da eine Fehlbesetzung."
Sylvia Kotting-Uhl: ” Ein Atom-Fan wie Günther Oettinger ist da eine Fehlbesetzung.”

Antwort: Beim Thema Atomhaftung hat Günther Oettinger die Bevölkerung hinters Licht geführt. Kurz nach der Atomkatastrophe von Fukushima kündigte er eine EU-weite Regelung an, lieferte dann aber drei Jahre lang nichts, sondern hielt die Öffentlichkeit mit einem Online-Fragebogen und einer Tagung hin. Anstatt sich um ordentlichen Opferschutz bei Atomunfällen zu kümmern,versuchte er nach Fukushima sogar, das EU-Beihilferecht zugunsten von AKW-Neubauten aufzuweichen. Die Auswirkungen eines massiven Atomunfalls sind so enorm, dass es sowie nie einen vollen Ausgleich für die Schäden geben kann. Doch die jetzigen Regelungen sind so schlecht, dass sie den Opfern allenfalls einen Tropfen auf den heißen Stein bieten können. Hier bedarf es massiver Verbesserungen, die nur durchsetzbar sind, wenn der zuständige Kommissar ein echtes Interesse daran hat und Durchsetzungs-kraft beweist. Lesen Sie dazu auch das Interview mit EU-Kommissar Günther Oettinger : Oettinger: Notfallpläne für den Winter

Günther Oettinger: Der Deutsche Kommissar ist bei der EU für Energiefragen zuständig
Günther Oettinger: Der Deutsche Kommissar ist bei der EU für Energiefragen zuständig

Frage: Bisher gibt es das Pariser -, das Wiener und das Brüsseler Übereinkommen. Sie alle regeln unterschiedlich wer, wie und in welcher Höhe für die Schäden bei Unfällen aufzukommen hat. Den Abkommen sind jeweils unterschiedliche Länder beigetreten. Atomkraftwerke in Frankreich sind bis jetzt lediglich bis zu 90 Mio Euro versichert. Kann man so in einem gemeinsamen Europa verantwortlich Energiepolitik betreiben?

Antwort: Die Betreiber-Haftung in Frankreich ist in der Tat skandalös niedrig. EDF, immerhin der größte Energiekonzern Europas, muss nach einem Atomunfall zur Opferentschädigung nur einmal kurz in die Portokasse greifen und ist dann aus dem Schneider. Aufgrund der Abkommen kommt noch ein wenig staatliche Entschädigung hinzu, aber für den Großteil der Schäden eines massiven Atomunfalls haben Betroffene keinen Anspruch auf Entschädigung. Das bisherige Atomhaftungsregime dient nicht dem Schutz der Opfer, sondern dem der AKW-Betreiber.

Frage: Nehmen wir an in dem dicht bei Freiburg liegenden an einem Rhein-Seitenarm liegenden französischen Atom-Kraftwerk Fessenheim entstünde ein Gau durch Überflutung zum Beispiel. Es herrscht Westwind. Die Schäden im dicht besiedelten Deutschland wären binnen kurzer Zeit weit höher als die in Fukushima. Wer zahlt?

Französische AKW Fessenheim direkt an der französisch-deutschen grenze bei Freiburg
Französische AKW Fessenheim direkt an der französisch-deutschen grenze bei Freiburg

Antwort: In diesem konkreten Fall würde sich nach den geltenden Regeln die Gesamtsumme zur Opferentschädigung aus drei Tranchen zusammensetzen. Der Betreiber von Fessenheim, EDF, muss insgesamt mit rund 91Millionen Euro haften. Mit weiteren rund 10Millionen Euro muss der französische Staat einstehen. Rund 240Millionen Euro kämen aus einem Pool aller Staaten, die wie Frankreich neben dem Pariser Übereinkommen zur Atomhaftung auch das sogenannte Brüsseler Zusatzübereinkommen unterzeichnet haben. Insgesamt gäbe es rund 340Millionen Euro zur Opferentschädigung. Das zu erwartende Schadensausmaß liegt aber im dreistelligen Milliardenbereich, also um den Faktor tausend höher. Das heißt, die Opfer eines Atomunfalls haben nur einen Anspruch auf Entschädigung im Promillebereich. Daran muss sich dringend etwas ändern.

Frage: Bei einer Atom-Katastrophe wie in Fukushima würde nach deutschem Recht wohl zunächst der Betreiber des AKW’s mit seinem Vermögen haften müssen. Die Energie-Konzerne haben für den
Rückbau der stillgelegten und der noch still zu legenden AKW’s Rückstellungen gemacht. Dies sind auch Vermögensteile die in der Bilanz auftauchen. Würde das bedeuten, dass bei einem Atomunfall durch das Heranziehen des Konzernvermögens zur teilweisen Begleichung des Schadens dann auch die Rückstellungen für die Altlasten aufgebraucht würden?

Die Kanzlerin und der ukrainische Ministerpräsident Petro Poroschenko. Eine knappe Autostunde nördlich von Kiew liegt Tschernobyl, der Ort an dem der bisher schwerste europäische  Atomunfall passierte für dessen Auswirkungen Deutschland heute noch zahlt.
Die Kanzlerin und der ukrainische Ministerpräsident Petro Poroschenko. Eine knappe Autostunde nördlich von Kiew liegt Tschernobyl, der Ort an dem der bisher schwerste europäische Atomunfall passierte für dessen Auswirkungen Deutschland heute noch zahlt.

Antwort: Ja, das kann passieren. Auch aus diesem Grund – vor allem aber aufgrund des Insolvenzrisikos der Konzerne – wollen wir die Rückstellungen der AKW-Betreiber in einem öffentlich-rechtlich verwalteten Fonds gesichert wissen. Es darf nicht sein, dass die Gesellschaft nach den Milliarden-Kosten eines Atomunfalls auch noch auf den Milliarden-Kosten für den Abriss der AKW und die Entsorgung des Atommülls sitzen bleibt.

Frage: Die aktuelle Diskussion über international gepflogenen Abhörpraktiken und die damit im Zusammenhang aufgekommenen Erkenntnisse über Cyberattacken von Hackern und Regierungs-
Hackern lassen die Fragen hochkommen wie sicher unsere und auch die europaweit installierten Atomkraftwerke vor sollen Attacken sind. Sie haben diesbezüglich verschiedene Anfragen an die Bundesregierung gestellt. Haben die Antworten, die Sie erhalten haben, zufrieden gestellt?

Antwort: Nein. Denn die Bundesregierung hat vor allem erkennen lassen, dass sie nicht an eine Gefahr glaubt. Gleichzeitig musste sie aber einräumen, dass sie bezüglich der Gefahren von Cyber-Attacken auf Atomkraftwerke zu bestimmten Aspekten noch keine endgültigen Antworten hat. Deshalb wurde ein Forschungsvorhaben initiiert. Unterdessen laufen die AKW aber weiter. Ohne die Stuxnet-Attacke und ihre breite öffentliche Diskussion hätte es vermutlich noch nicht einmal ein Forschungsvorhaben zu den Gefahren von Cyber-Attacken auf Atomkraftwerke gegeben –obwohl Fachleuten die theoretische Möglichkeit ja schon länger bekannt ist. Fehleinschätzungen, die auf Einschätzungen und einem überzeugten Glauben an die Atomkraft basieren anstatt auf Fakten und gründlicher Nachweisführung, haben schon oft zu Atomunfällen geführt. Ich habe
starke Zweifel, dass die Cyber-Risiken für AKW ausreichend untersucht und bekannt sind.

Frage: Es gibt das vor drei Jahren gegründete nationale Cyber-Abwehrzentrum und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Der Obama-Berater Richard Clarke, früher
Sicherheitsberater von US-Präsident Bill Clinton, weist in seinem Buch World WideWar – Angriff aus dem Internet, darauf hin, dass auch die Bundeswehr- bereits 2006 – eine offizielle Cyberkriegseinheit ins Leben gerufen habe. Während das deutsche Cyberabwehrzentrum wohl über zehn Aktive verfügt, sind es laut Clarke bei der Bundeswehr 2009 bereits 76 gewesen. Wissen Sie, ob die Bundeswehreinheit und was sie zur Sicherheit der Atomkraftwerke beiträgt? Und was die anderen erwähnten Institutionen?

Sind Atomkraftwerke geschützt gegen Angriffe aus dem Dunklen .. . ? Gegen Cyber-Attacken aus dem Netz?
Sind Atomkraftwerke geschützt gegen Angriffe aus dem Dunklen .. . ? Gegen Cyber-Attacken aus dem Netz?Institutionen?

Antwort: Ob es einen Know-How-Beitrag der Bundeswehr bezüglich der Gefahren, die von Schadsoftware bzw. Cyber-Attacken auf Atomkraftwerke ausgehen, gibt, weiß ich nicht. Das BSI hat eher allgemein gehaltene Empfehlungen beigesteuert. Ich frage mich aber, ob die in IT kundigen Experten des BSI auch von der Reaktortechnik genug verstehen, um alle möglichen Wechselwirkungen zwischen analoger Reaktorschutz-Leittechnik und möglichen Malware-Schäden in digitalen AKW-Komponenten erkennen zu können. In der indirekten Beeinflussung der für unempfindlich gehaltenen analogen Sicherheitskomponenten in den Atomkraftwerken durch Cyber-Attacken auf andere, digitale Komponenten im AKW sehe ich ein Risiko.