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Die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz, Professorin Beate Jessel gab den Teilnehmern der Auftaktveranstaltung zum Projekt II des Naturschutzgroßprojektes Chance 7 (Natur- und Kulturlandschaft zwischen Siebengebirge und Sieg) einen wissenswerten, interessanten Überblick über das ge-samte Projekt und bot dabei auch einige Überraschungen. Die große Zuhörer-zahl war teilweise sicher überrascht was in ihrer Umgebung an Getier ausUr-Zeiten überlebt hat.

Prof.Dr. Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz: Schmunzeln Sie nicht über den Furchenbrustrüssler ...
Prof.Dr. Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz: Schmunzeln Sie nicht über den Furchenbrustrüssler …

„Das Naturschutzgroßpro- jekt Chance 7 ist mit seiner engen Verzahnung von na- turnahen, waldgeprägten Lebensräumen, von natür- lichen Fließgewässern und ihren bachbegleitenden Auen, von wertvollen und reich strukturierten Kul- turlandschaften mit Streu- obstwiesen, Weinbergs- brachen, Feuchtwiesen und ehemaligen Steinbrüchen, mit all diesen Lebensräu- men eines der Biodiversi- tätszentren in Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus auch Deutschland weit“, ordnete die Professorin das Projekt gleich zu Beginn ein. Nur in diesen herausragenden Landschaften mit bundesweiter und repräsentativer Bedeutung kann der Bund mit seinem Förderprogramm chance.natur die Länder und Naturschutzakteure vor Ort unterstützen.
Mit dem Programm „chance.natur – Bundesförderung Natur-schutz“ fördern wir als Bund seit 1979 Gebiete, denen aus nationaler Sicht aufgrund ihrer Naturausstattung eine besondere Bedeutung für den Naturschutz zukommt. Dies gilt in besonderem Maße für Lebensräume und für Tier- und Pflanzenarten, die in Deutschland ihren Verbreitungsschwerpunkt haben und für die Deutschland eine besondere Verantwortung trägt. Auf diese Weise leistet die Bundesregierung einen nachhaltigen Beitrag zum Schutz der biologischen Vielfalt und zur Erhaltung des Naturerbes in Deutschland sowie zur Erfüllung internationaler und nationaler Naturschutzverpflichtungen. Damit ist „chance.natur – Bundesförderung Naturschutz“ ein zentraler Pfeiler der Natur-schutzpolitik in Deutschland.

Zuvor festgelegte Förderkulisse

Ein zentrales Ziel dieser Projekte liegt in der Erhaltung und Entwicklung bzw. auch Wiederherstellung einer reichhaltigen und – wie wir wissen – heutzutage häufig gefährdeten Biodiversität innerhalb einer zuvor festgelegten Förderkulisse.

Diese Förderkulisse umfasst beim Chance 7-Projekt acht Fördergebiete, die in der Summe 11.300 ha umfassen. Und was hier das Besondere ist: Wir befinden uns in einem für den Naturschutz sehr hochwertigen Landschaftsraum, der sich durch eine enge Verzahnung und ein enges Miteinander von Natur- und Kulturlandschaft auszeichnet.
Da haben wir zunächst die waldgeprägten und großflächigen Fördergebiete „Siebengebirge“ und „Leuscheid“, die bundesweit bedeutsame Biotopverbundelemente des Buchenwaldschutzes sind. Mit den Zielarten Schwarzstorch und – perspektivisch – Wildkatze stehen zwei Arten mit hohen Raumansprüchen im Fokus des Vorhabens. GE DIGITAL CAMERA

Die im Projekt geplanten Maßnahmen zum natur- schutzgerechten Waldumbau auf mehr als 200 Hektar lei- sten nicht nur einen Natur- schutzbeitrag, sondern machen aktuell nicht stand- ortgerechte Waldbereiche fit für den Klimawandel. Insge- samt prägen die Wälder mit ca. 7200 ha einen wesent- lichen Teil der Förderkulisse. Nicht nur Arten mit hohem Raumanspruch, sondern auch oft unscheinbare Arten sind es, die den Wert dieser Wälder ausmachen. So konnten in den Fördergebieten neben dem bekannteren Hirschkäfer drei sogenannte Urwaldreliktarten nachgewiesen werden.“

Mit Stolz in der Stimme

Beate Jessel machte eine kurze Pause, sah bedeutungsvoll in den tief gestreckten Saal und erklärte dann mit Stolz in der Stimme:“ Es handelt sich um den winzigen Furchenbrustrüssler, den Bluthals-Schnellkäfer und den Rotbeinigen Haarzungen-Faulholzkäfer.“
Offensichtlich entdeckte sie im Saal viele überraschte, staunende Gesichter, denn sie fuhr gleich fort: „Schmunzeln Sie bitte nicht, denn das sind Arten, unscheinbare Arten zwar, die aber nur in lange Zeit sich selbst überlassenen Wäldern mit hohen Alt- und Totholzanteilen vorkommen und die gerade deshalb so unbekannt sind. Und gerade, weil wir zu wenige dieser Flächen haben, will Chance 7 auch hier ein Zeichen setzen und mit den bereitgestellten Fördermitteln dazu beitragen, dass zusätzliche Flächen für eine ungestörte Entwicklung bereitgestellt werden – insbesondere mit der zugesagten Unterstützung des Landes und des Landesbetriebes Wald und Holz NRW und hoffentlich auch der Stadt Bad Honnef, in deren Wäldern sich noch ein phantastisches Potenzial hierfür befindet.

Blick zum Drachenfels von Rhöndorf aus
Blick zum Drachenfels von Rhöndorf aus

Die rheinnahen Hänge
Gerade die rheinnahen Hänge des Siebengebirges mit dem Ennert waren früher durch außerordent- lich artenreiche Offenländer mit Weinbergen, Streuobstwiesen und extensiv genutzten Magerwiesen geprägt.

Seltene Arten wie die Mauereidechse und die Zippammer erreichen hier ihre nördliche Verbreitungsgrenze in Deut- schland. Für diese herausragenden Kul- turlandschaftsteile ist in den vergangenen Jahrzehnten durch die Aufgabe der Nutzung und die zunehmende Verbuschung und Bewaldung ein erhebliches Gefährdungspotenzial für diese Arten entstanden. Hier setzt ein weiterer Schwerpunkt des Projektes an, denn die jetzt noch kleinflächigen und isolierten Weinbergsbrachen sollen deutlich erweitert und miteinander vernetzt werden. Damit wird nicht nur ein Beitrag zum Artenschutz für viele wärmeliebende Arten, sondern auch ein Beitrag zur Erhöhung des Freizeit- und Erholungswertes für die Bevölkerung und die Gäste der Region ge-leistet. Und nicht zuletzt gilt es, Stein- und Edelkrebs vor dem lokalen Aussterben zu retten und ihnen in den Bächen hier in der Region neuen Lebensraum zu schaffen.

Verbesserung der alten Obstwiesen

Im Fördergebiet „Pleiser Hügelland“ prägen und bereichern Obstwiesen und Hecken eine reich strukturierte Kulturlandschaft. Mit über 90.000 Hochstämmen zählt der Rhein-Sieg-Kreis zu den streuobstwiesenreichsten in NRW mit weit über 100 verschiedenen, oft alten und lokalen Obstsorten.

Insgesamt soll der Flächenumfang der Obstwiesen im Rahmen des Projektes substanziell erweitert und vor allem der Zustand der z.T. überalterten oder nicht hinreichend gepflegten Obstwiesen mit Hilfe des Projektes verbessert werden.
Gleichzeitig ist diese kleinräumige Landschaftsvielfalt Voraussetzung für eine der größten, allerdings auch stark isolierten Gelbbauchunkenpopulationen in NRW, und mit bis zu 20 Brutpaaren des Rotmilans kommt im Fördergebiet eine Art gehäuft vor, für die Deutschland eine weltweite Verantwortung trägt. In diesem Fall sollen die Schaffung von extensiv genutzten Feuchtgebieten mit Kleingewässern sowie die Sicherung der strukturreichen Kulturlandschaft zu einer Erhöhung von Individuenzahlen und Beständen führen.
Mit dem „Krabachtal“ soll auf einer Fläche von mehr als 700 ha von den Quellbereichen bis zur Einmündung in die Sieg ein durch Mäanderbildung und naturnahe, abwechselungsreiche Uferstrukturen charakterisiertes Kleinod samt seiner Aue, den schutzwürdigen Wäldern an den Talflanken und den obstwiesenreichen Quellregionen erhalten und naturschutzgerecht entwickelt werden. Hier dokumentieren das Vorkommen von Eisvogel, Gebirgsstelze und Wasseramsel am Fließgewässer und die Nutzung der Aue durch den Schwarzstorch den sehr hohen Stellenwert dieses Fördergebietes für den Naturschutz.
Im Fördergebiet „Oberhau/Eudenbach“, einer über 300 m NN gelegenen Plateaufläche, besteht ein sehr großes Potenzial zur Regeneration von Lebensraumtypen nährstoffarmer Standorte wie Calluna- und Feuchtheiden sowie Borstgrasrasen und Pfeifengraswiesen, die dort vor 70 Jahren noch ausgedehnt vertreten waren. Ihre Fläche soll von heute wenigen Hektar auf über 30 ha erweitert werden. Mit den angrenzenden Naturschutzgebieten in Rheinland-Pfalz kann sich hier ein Vorzeigeprojekt für den länderübergreif- enden Biotopverbund entwickeln.
Und dann haben wir noch die beiden kleinsten Fördergebiete, die „Bläulingswiesen bei Windeck“ und der Bereich „Kohlkaul-Pützchen“ direkt vor den Toren von Bonn, in denen das aus Artenschutzsicht wichtigste und oft gleichzeitige Vorkommen der beiden FFH-Arten Heller und Dunkler Ameisen- bläuling in Nordrhein-Westfalen im Zentrum der geplanten Naturschutzmaß- nahmen steht, – es sind Maßnahmen, die auf den Erhalt und die Entwicklung zusammenhängender Feucht- und Nasswiesenkomplexe zur Stärkung der Bestände dieser Arten abzielen.

Prof. Beate Jessel: Mit was für einer Schatzkiste wir es hier zu tun haben: Schutzbedürftiger Uhu
Prof. Beate Jessel: Mit was für einer Schatzkiste wir es hier zu tun haben: Schutzbedürftiger Uhu

Hohe Wertigkeit der Förderkulisse

Mit was für einer Schatzkiste wir es hier zu tun haben, können Sie vielleicht ermessen, wenn Sie sich vorstellen, dass insgesamt bisher im Fördergebiet allein 970 Farn- und Blütenpflanzen, d.h. ca. 30% der in Deutschland vorkommen- den Gefäßpflanzen nachge- wiesen werden konnten, darunter ca. 200 Arten der Roten Liste Nordrhein-Westfalens. Dies unterstreicht die hohe Wertigkeit der Förderkulisse für den Naturschutz.

Auch die Zahl der gefährdeten und schutzbedürftigen Tierarten ist hoch. Schwarz- und Mittelspecht, Uhu und Wanderfalke sowie die zahlreichen Fledermausarten sind nur einige Beispiele.
Schutz und Entwicklung einer herausragenden Natur- und Kulturlandschaft gelingen selten im Alleingang des Naturschutzes. Vielmehr soll dieser Weg gemeinsam mit den regionalen Akteuren gegangen werden. Erfolgreicher Naturschutz als Zukunftsaufgabe braucht die Unterstützung der Gesellschaft. Daher plädiert das BfN bei allen Naturschutzgroßprojekten, wie dies bereits in der Planungsphase geschehen ist, für die rechtzeitige Einbindung der relevanten gesellschaftlichen Gruppen. Die signalisierte Unterstützung durch sechs Städte und Gemeinden im Projektgebiet, durch die vor Ort aktiven Naturschutzverbände und -vereine NABU, BUND, den Verschönerungsverein Siebengebirge und den Bergischen Naturschutzverein sowie durch Vertreter von Land- und Forstwirtschaft lassen erheblichen Rückenwind für die erfolgreiche Umsetzung des Projektes erwarten. Dies begrüße ich ausdrücklich.

Wichtige Prämisse: Freiwillige Zusammenarbeit
Eine wichtige Prämisse aller Naturschutzgroßprojekte ist das Prinzip der freiwilligen Zusammenarbeit. Dabei soll nicht nur den Belangen der Flächeneigentümer, sondern auch denen der Pächter Rechnung getragen werden.

Aus diesem Grunde wurde die Fachplanung – der Pflege- und Entwicklungsplan – für Chance 7 rechtzeitig und transparent im Rahmen der projektbegleitenden Arbeitsgruppe mit den betroffenen Gruppen besprochen und diskutiert. Ich bin mir sicher, dass damit ein tragfähiges Fundament für eine erfolgreiche Projektumsetzung geschaffen wurde und die vertrauensvolle Zusammenarbeit in der Umsetzungsphase fortgeführt wird.
Die bislang sehr gute Zusammenarbeit im Rahmen der Erstel-lung des Pflege- und Entwicklungsplans sowie der Antragstel-lung für die jetzt anlaufende Projektphase II hat gezeigt, dass der Rhein-Sieg-Kreis, verehrter Landrat Schuster, ein Projektträger mit hoher fachlicher und administrativer Kompetenz ist. Dies alles sind gute Ausgangsbedingungen für ein ambitioniertes und erfolgreiches Naturschutzgroßprojekt in der Zusammenarbeit des BfN mit dem Landkreis, den Kommunen und dem Land Nordrhein-Westfalen. Aus diesem Grund unterstützt der Bund das Vorhaben mit 75% der Gesamtausgaben, was bis zum Ende seiner Laufzeit im Jahre 2025 insgesamt rund 10,6 Mio. Euro entspricht. Ich bin mir sicher, dass es uns mit Hilfe des Naturschutzgroßprojektes gemeinsam gelingen wird, die Region dahingehend zu unterstützen, das wertvolle Naturpotenzial des Fördergebietes langfristig zu erhalten und weiter zu entwickeln. Dazu wünsche ich Ihnen hiermit viel Erfolg.“
Lang anhaltender Beifall im Saal !