Viele Todesfälle gibt es nicht nur durch die hohen Emissionen im Verkehr, durch Emissionen von Dieselfahrzeugen zum Beispiel. Auch Atommeiler strahlen und im Falle eines Gaus senden sie tödliche Strahlungen aus, aber auch solche, die zu schweren Erkrankungen führen. Wie sieht es mit den Klagemöglichkeiten in solchen Fällen aus. Am 07. März veröffentlichten wir dazu ein Interview mit dem Anwalt der Deutschen Umwelt-Hilfe (DUH) Remo Klinger, der das bahnbrechende Urteil in Sachen möglicher Dieselfahrverbote vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig erstritten hat unter dem Titel: Dieselgate-Todesfälle: Ist die Autoindustrie verantwortlich?- Sie muss das Gegenteil beweisen!!!“ Wie sieht es also grundsätzlich aus: Sind Todesfälle im Dieselgatebereich und bei einem möglichen Atom-Gau vergleichbar?

Betroffene können nicht in Deutschland klagen ...
Betroffene können bei einem Atom-Unfall in Frankreich nicht in Deutschland klagen …

Wir haben den bekannten Frankfurter Anwalt Matthias Seipel dazu interviewt. Er hat schon verschiedene Atom-Verfahren geführt.

 Frage: Wenn Unternehmen Immissionsschutzvorschriften nicht eingehalten haben, kann im Prozess ein Kläger die  Beweislastumkehr beantragen, hat der BGH entschieden. Das  erklärte der Anwalt der Deutschen Umwelthilfe, der  das  Urteil vor dem Bundesverwaltungsgericht in Sachen Dieselfahrverbote jüngst erstritten hat, im Interview mit uns. Das bedeutete doch konkret: Würde jemand vor Gericht gegen VW zum Beispiel klagen, weil  ein Familienmitglied durch Abgasemissionen von VW-Dieselfahrzeugen zu Tode gekommen wäre, müsste der VW-Konzern belegen, dass dem nicht so ist. Umgekehrte Beweispflicht also…?

Antwort Seipel: Die Umkehrung der Beweispflicht wäre im Dieselskandal durchaus gegeben. Allerdings wird es im Einzelfall immer eine Frage der Kausalität sein, an der ein Kläger scheitern könnte. Die Krankheit eines Klägers dürfte keine andere äußere Ursache haben als das Abgas. Aus meiner Sicht, also der Sicht eines Nichtmediziners, scheint es schwierig zu sein, den Tod eines Menschen ausschließlich auf den zu hohen Schadstoffausstoßes von Fahrzeugen des VW-Konzern zurückzuführen. Möglicherweise ist der Mensch an einem Konglomerat von Schadstoffen und anderen Ursachen verstorben. Die Beweislastumkehr bezieht sich zunächst lediglich auf den Nachweis der Tatsache, dass unzulässige Mengen von Schadstoffen ausgestoßen  werden. Dies steht allerdings auch bereits ohnehin fest.

Frage: Können Sie sich erklären warum das wohl bisher noch nicht geschehen ist? Rund 38.000 Menschen sind einer Hochrechnung zufolge wegen nicht eingehaltener Abgasgrenzwerte bei

Es war Mord aus Habgier, Peters Eltern
Es war Mord aus Habgier, Peters Eltern

Dieselfahrzeugen allein im Jahr 2015 vorzeitig gestorben. 11.400 dieser Todesfälle entfallen auf die EU, berichtete bisher  ein Forscherteam um Susan Anenberg von der Organisation Environmental Health Analytics (LLC) in Washington. Die Gesamtzahl vorzeitiger Todesfälle durch Stickoxide aus Dieselabgasen lag demnach für die weltgrößten Automärkte bei 107.600.Beeindruckende Zahlen und nichts geschieht?

Antwort: Ich gehe davon aus, dass diese Schwierigkeiten auch der Grund dafür sind, weshalb bisher Geschädigte den Gang zu den Gerichten mit Recht scheuen. Die Schädlichkeit der Schadstoffe besteht sicherlich nicht nur über den festgelegten Grenzwerten. Die Schadstoffe treffen auch nicht auf identische Menschen. Manche sind sicherlich widerstandsfähiger als andere. Alle diese Fragen machen ein erfolgreiches Gerichtsverfahren riskant.

Frage: Sie haben rechtliche Erfahrungen sammeln können in Prozessen in denen es um die Gefahren von atomaren Strahlungen ging. Haben Sie dabei mit der Beweislastumkehr punkten können?

Lesen Sie dazu unseren Bericht: Unglaublich: Schweiz will Dosiswerte ffür Radioaktivität erhöhen
Lesen Sie dazu unseren Bericht: Unglaublich: Schweiz will Dosiswerte ffür Radioaktivität erhöhen

Antwort: Ich habe vor Jahren  u.a. den Fall eines AKW-Arbeiters aus der ehemaligen DDR vertreten. Dieser war an Krebs verstorben. Im Verfahren vor dem Sozialgericht urteilte das Gericht in erster Instanz, aufgrund nachgewiesener Grenzwertüberschreitungen sei von einer Kausalität der Krebserkrankung zu Gunsten des Arbeiters auszugehen und hatte die Krankheit als Berufskrankheit anerkannt. In der zweiten Instanz wurde dieses Urteil aufgehoben und nach der herrschenden Rechtsprechung entschieden, dass die Kausalität keinesfalls nachgewiesen sei, und die Grenzwertüberschreitungen keine Gefährdungsschwelle indizieren. Bei der Anerkennung von Berufskrankheiten gibt es eine feste Liste von Berufskrankheiten, die in einen Katalog aufgenommen werden. Soweit dort eine Krankheit gelistet ist, benötigt der Beschäftigte keinen Kausalitätsnachweis, der bei Krebs kaum nachweisbar ist.  In derartigen Fällen ist der Nachweis einer Kausalität kaum möglich.

Frage: Kommt es zum Gau in einem französischen Atommeiler, Fessenheim zum Beispiel, nahe der

Französische AKW Fessenheim direkt an der französisch-deutschen Grenze bei Freiburg... Pokern um Entschädigung...?
Französische AKW Fessenheim direkt an der französisch-deutschen Grenze bei Freiburg… Pokern um Entschädigung…?

deutschen Grenze bei Freiburg, müsste dann jeder Deutsche, der strahlengeschädigt wird, einen Prozess anstrengen und die Beweislastumkehr beantragen? Kann der Strahlengeschädigte dann überhaupt in Deutschland klagen?

Antwort: Bei einem Gau in Fessenheim könnten Ansprüche deutscher Betroffener  nicht in Deutschland geltend gemacht werden.

Im übrigen wurde im Pariser Atomhaftungsübereinkommen eine Deckungspflicht für die Unterzeichner von 70 bis 700 Mio vorgeschrieben. In Deutschland ist die Deckungsvorsorge höher. Sie beläuft sich auf 2,5 Milliarden Euro.

Das deutsche Atomgesetz sieht in § 25 eine Haftung der Betreiber für Schäden im Zusammenhang mit dem Betrieb von Nuklearanlagen vor und zwar in unbegrenzter Höhe. Das bedeutet, dass der Betreiber mit seinem gesamten Vermögen haftet. Die Betreiber sind in aller Regel Aktiengesellschaften. Dies bedeutet, dass im Falle eines Unfalls die Aktienkurse sofort in den Keller gingen. Dies geschah auch in Fukushima, wo der Staat sodann einen erheblichen Anteil der Aktien übernahm, um eine Insolvenz abzuwenden. Auch in Deutschland würde letztlich der Staat und damit der Steuerzahler haften.

Lesen Sie dazu auch unser Interview mit dem DUH-Anwalt Remo Klinger: Dieselgate-Todesfälle: Ist die Autoindustrie verantwortlich?- Sie muss das Gegenteil beweisen!!!“