Entstehung des Buches “Nucleus”

Würden Terroristen tatsächlich eine nukleare Bombe zünden, um ihre Ziele zu erreichen? Das war die zentrale Frage, die mich die gesamte Zeit über, während ich den fiktiven Teil meines Tatsachenromans NUCLEUS schrieb, beschäftigte. Dass sie sich den Stoff dafür besorgen können, steht für mich fest.

Schon damals, Ende der Achtziger Jahre, beschäftigte diese Frage den parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Bonn, der den größten deutschen Atomskandal, aufdecken sollte. Dabei dachten einige deutsche Abgeordnete in erster Linie an die linke RAF. Erst ein Amerikaner, Paul Leventhal, Präsident des Nuclear Control Institute, aus Washington D. C., der als Sachverständiger hinzugezogen wurde, wies schon damals auf die Gefahr durch islamistischen Terror hin.

Ich aber stellte mir beim Schreiben immer wieder die Frage: Würden Terroristen die Bombe, vielleicht auch nur eine dirty bomb, eine sogenannte schmutzige Bombe bei der konventioneller Sprengstoff zusammen mit dem hochgiftigen atomaren Stoff Plutonium zur Explosion gebracht wird, auch wirklich zünden? Die Gegend in der das passierte, vielleicht eine Stadtmitte, würde dann auf Jahrzehnte unbewohnbar sein. Das wüssten die inzwischen ja auch, habe ich immer wieder überlegt. Wenn man überlegt, dass die USA es in Nagasaki und Hiroshima trotzdem auch gemacht haben … –

explosion

Meine andere zentrale Frage zielte beim Schreiben auf den Tatsachenteil im Buch, auf das, was wirklich passiert ist: Wäre das alles im Atombereich hier in Deutschland auch heute noch möglich, was in den Achtzigern schließlich zum größten deutschen Atomskandal geführt hat? Schier unglaubliche Geschichten waren das. Die Beteiligten aus Wirtschaft und Politik sind in dem Teil meines Buches, wie heißt es so schön im Slang der Schlapphüte, mit Klarnamen aufgeführt.

Und wenn wir zu der Auffassung kommen, führte ich mir immer wieder vor Augen, dass das hier auch weiterhin möglich ist, obwohl uns aus der Atom-Industrie und der ihr nahestehenden Politik, trotz des Desasters im japanischen Fukushima und des gerade erst abgeschlossenen europäischen Stresstests für unsere Atomkraftwerke, bei denen fast alle Kraftwerke durchgefallen sind, trotzdem immer noch entgegen schallt: Wir haben alles im Griff!, dann ist in Staaten, die absolut nicht über unsere europäischen Sicherheitsmaßnahmen verfügen, allemal noch mehr möglich als das, was bei uns hier geschehen ist. Und dann? Der Spiegel hat das, was damals über fast ein Jahrzehnt im deutschen Atombereich ablief mit seiner Titelzeile auf den Punkt gebracht: Deutsche Atomunternehmen außer Kontrolle.

Selbstmord des Atoms
Spiegel 3, 18. Januar 1988

spiegel-1988Der größte Skandal in der Geschichte der westdeutschen Atomindustrie hat internationale Dimensionen angenommen: wegen des Verdachts, aus der Bundesrepublik könnte Bombenstoff in Krisenregionen der Dritten Welt gelangt sein.

… Bomben aus Hanau? Geliefert von geschmierten Atomindustriellen der Bundesrepublik? Bonn auf der Anklagebank von 135 Nationen, die sich allesamt im Atomwaffensperrvertrag verpflichtet haben, weder Nuklearbomben noch Teile davon irgendwohin zu exportieren? Der vage Verdacht wurde von der Bundesregierung sogleich ernst genommen, ein Kanzlerberater: “Das kriegt natürlich sofort eine Überdimension, wenn der Atomwaffensperrvertrag wirklich verletzt worden ist.

Beim Beschreiben dieser schier unglaublichen Geschichten, die in dieser gefährlichen Atombranche passiert waren und sogar noch weiter während des Schreibens passierten, kribbelte es in meinen Fingern und auch sonst irgendwo. Ich musste mich immer wieder bemühen, ruhig auf dem Stuhl sitzen zu bleiben. Bereits morgens um acht Uhr saß ich am Schreibtisch, der ja heute vornehmlich durch einen Computer geprägt ist. Im Winter ist die Welt um diese Zeit noch dunkel. Und dann schreibst du über Schmiergelder in Millionenhöhe, ungesicherte Atombestände, extensive Bordellbesuche und … Tote, die auf unnatürliche Weise ums Leben gekommen sind. Todesfälle, bei denen sich selbst die zuständigen Staatsanwälte bei der Aussage über die Todesumstände widersprechen. Und sich niemand weiter darum kümmert? Noch schlimmer. Bei meinen Nachforschungen gewann ich eher noch den Eindruck, als sollte alles besser unter der Decke bleiben.

Manchmal durchzuckte mich dann der Gedanke: Schmeiß alles in die Kiste und schreib ein Spaßbuch. Abwechslung boten Fahrten nach Wiesbaden, um die Akten der Staatsanwaltschaft zum Skandal zu sichten. Ungläubiges Staunen und Innehalten beim Umblättern der Seiten. Hier: Die Geliebte des Hauptzeugen im Atom-Skandal ist tatsächlich mit einem Kunden ihres Freundes, einem Manager in einem Atomkraftwerk, zuständig für die Entsorgung nuklearer ‚Abfälle‘ für eine Woche nach Thailand gefahren. Ihr Freund, der Hauptzeuge, zuvor Vertriebschef im Hanauer Atomunternehmen Transnuklear wollte ursprünglich mitfahren. Dann ist angeblich seine Mutter erkrankt. Seine Geliebte fuhr mit dem Manager also allein … Immer mehr setzten sich vor meinen Augen die einzelnen Puzzlestücke zu einem vollständigen Muster zusammen. Ein Anruf riss mich förmlich von meinem Sitz. Ein seriöser Beamter teilte mir mit, dass damals ein junger hessischer Minister mit einer von den Damen ins Bett gestiegen war, mit denen die Atommanager auch ihre Kunden aus den Atomkraftwerken ‚versorgt‘ hatten. Blitzartig schoss mir die Frage durch den Kopf, welchen Einfluss das auf das ganze weitere Untersuchungsverfahren gehabt haben mochte. Habe ich im Buch natürlich praktisch durchdekliniert.

Immer noch vorhandene Lücken im Bild und vom wahren Hintergrund des Skandals wurden dann weiter durch Stasi-Unterlagen zu Geheimdiensttreffen und mit Protokollen der lange als geheim eingestuften Ergebnisse des Schalck- Golodkowski- Untersuchungsausschusses gefüllt. Hochbrisanter Stoff für das Buch.

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Ingrid Köppe, Obfrau im Bundestagsuntersuchungsausschuss

Die Obfrau der Grünen im Bundestagsuntersuchungsausschuss, Ingrid Köppe, die zusammen mit ihrer Truppe einen abweichenden Bericht gefertigt hatte, hatte nicht lange Freude an ihrer Arbeit. Ihr Bericht wurde als geheim eingestuft, nachdem daraus Einiges an die Presse durchgesickert war. Sie musste, ich glaube nicht nur eine Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen. Alle Berichte und Anlagebände des Ausschusses wurden in der Folge als geheim eingestuft. Frau Köppe wies mich in einem Telefonat fürsorglich daraufhin, ich möge doch mit dem Zitieren aus dem Bericht, den ich mir von anderer Seite besorgt hatte, vorsichtig sein. Sie konnte nicht wissen, dass die Berichte inzwischen freigegeben worden waren. Sie hatte mit der Politik inzwischen gebrochen und einen anderen Lebensweg, nun als Anwältin, eingeschlagen.

Übrigens habe ich mit dem Schreiben des Buches so begonnen, wie Stephen King das in seinem Buch Das Leben und das Schreiben, es empfohlen hat: Einfach loslegen. Das Buch war mir kurz zuvor in die Hände gefallen. Guter Rat, von dem lieben Stephen. Nur führte auch mich dieses ‚einfach Losschreiben‘ , wie King es ja in seinem Buch auch prophezeit hatte, ab und zu in die Sackgasse. Monatelang suche er manchmal nach Möglichkeiten da wieder rauszukommen, gesteht der Schreib-King in seinem Buch ein. Autofahrer, besonders Anfänger, können ja ein Lied von solchen Wendemanövern singen. Ihnen bleiben keine Monate. Auch ich suchte nach schnelleren Auswegen. Es ging dabei auch nicht um das Formulieren, sondern um den Plot, sagt man ja heute. Um das, was jetzt passieren oder nicht passieren sollte oder durfte. Dies Missgeschick ereilte mich meist beim fiktiven Teil.

Bei den Tatsachen, die da hinein mussten, hatte ich eine genaue Vorstellung. Schließlich habe ich seinerzeit während der Atomskandal von den drei parlamentarischen Unter-suchungsausschüssen in Bonn, Wiesbaden und Brüssel aufgerollt werden sollte, ja man kann fast sagen stark mitgelitten. Ich musste vorm Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages erscheinen. Blitzlichtgewitter, während du da allein auf deiner Sünderbank sitzt. Die Fotografen umschleichen dich. Klick hinten, klick vorne, von unten von oben, eben von allen Seiten. Sie liegen auch vor dir auf den Knien. Du fasst dir manchmal instinktiv ans Kinn: Bist du auch gut rasiert? Hinter mir eine Meute der Beobachter. Diplomaten. Geheimdienstler?! Vor mir, anders als vor Gericht, nahezu zwanzig Bundestagsabgeordnete der verschiedenen Parteien. Wer von ihnen klagt gleich an? Wer hilft? Du weißt es erst in dem Augenblick wenn es losgeht.

wallmann-titelWarum saß ich eigentlich da? Ein Interview mit dem hessischen Minister für Umwelt- und Reaktorsicherheit, Karl-Heinz Weimar, für das Magazin ‚Bonner Energie-Report‘, das in meinem 1980 gegründeten Verlag erschien, hatte mich dahin gebracht. Ich hatte den Minister darauf hingewiesen, dass wir in der Redaktion Hinweise darauf hätten, dass deutsche Atomunternehmen über den Lübecker Hafen, zu der Zeit als Uwe Barschel das Land als Ministerpräsident regierte, Plutonium nach Pakistan und Libyen geliefert hätten. Ich hatte den Minister um Vertraulichkeit gebeten. Wir erwarteten in den nächsten Tagen Informationen in die eine oder andere Richtung. Der Minister konnte das Wasser nicht halten. Bald wusste es Ministerpräsident Walter Wallmann. Und wie Wallmann zur Atomindustrie stand, hatten wir in unserem Blatt schon ein Jahr vor dem Auffliegen des Skandals dokumentiert.

Danach wusste es bald die ganze Welt. In Bonn gab’s eine Sondersitzung. Wie die ablief ist im Buch dokumentiert. Damit wird auch klar, dass die Politik selbst im Innersten keinen Moment an die Sicherheit der Atomindustrie glaubt. Vielleicht wussten Ministerpräsident Walter Wallmann und Reaktorsicherheitsminister Karl-Heinz Weimar zu der Zeit bereits Mehr. Denn sie gaben meine Hinweise, für die ich um Vertraulichkeit gebeten hatte, ungeprüft weiter. – Aber es tauchten noch ganz andere, gravierendere, politische Probleme auf. Vor allem die Atommächte USA, Frankreich und England stellten die Frage: Hat Deutschland den Atomwaffensperrvertrag gebrochen? Es begann eine heiße Zeit, auch für uns, die Redaktion, den Verlag. Wurden wir nun abgehört? Von den verschiedensten Geheimdiensten? Der CIA hatte sich gemeldet und zum Gespräch in die US-Botschaft in der Deichmannsaue am Rhein eingeladen. Fernsehsender, wie das ZDF, standen reihenweise vor der Tür des Verlages, wollten Interviews.

ZDF Heute-Journal – Januar 1988

Interview mit Dieter Kassing und dem Hessischen Umweltminister, Karl-Heinz Weimar.

Auch das ZDF wollte von mir wissen, was ich über die möglichen Plutonium-Lieferungen deutscher Atomunternehmen über den Lübecker Hafen nach Pakistan und Libyen wisse. Da ich dem hessischen Reaktorsicherheitsminister Katl-Heinz Weimar im Vorgespräch zu einem Interview aber nur gesagt hatte, dass wir Hinweise darauf hätten, wollte alle Welt wissen, warum Weimar und anschließend Ministerpräsident Walter Wallmann das ungeprüft in die Öffentlichkeit posaunte, außerdem parallel den Bundesumweltminister Klaus Töpfer und sogar Kanzler Kohl sofort näher darüber informierte. Das ZDF-Interview, das Patricia Wiedemeyer mit mir dazu führte und das Gespräch, das der bekannte heute-journal Moderator Ruprecht Eser mit Karl-Heinz Weimar während der Sendung führte, offenbaren was wirklich passiert ist: Die Politik hat ihr Märchen von der Sicherheit in der Atomindustrie nicht geglaubt, eigentlich nie richtig geglaubt.

bonner-energie-report-kernkraftDas alles habe ich im Buch verarbeitet. Es war eine politisch heiße Zeit, die Zeit des Kalten Krieges. Da belauerten sich ja nicht nur Ost und West. Die USA trauten zu Präsident Reagans Zeiten ganz offensichtlich auch nicht ihren Verbündeten in Europa. Trieben die nicht doch ihre eigenen Geschäfte mit dem Osten? Gab es da nicht engeren Kontakt als von Washington gewollt? Gab es da eventuell auch atomare Connections? Oder, was war mit Pakistan? Ganz offensichtlich rüstete Bonn Islamabad atomar auf. Der CIA war voll orientiert. Wollte Washington diese atomaren Geschäfte selbst machen? Hatte es auch deshalb vielleicht Hinweise vom CIA oder auch vom israelischen Mossad, beide arbeiteten ja eng zusammen, an deutsche Medien gegeben? Und erst dadurch flogen die ganzen atomaren Schiebereien auf? Eskalierten zum weltweiten Skandal. Fragen, die im Buch natürlich eine wichtige Rolle spielen. Schließlich sind sechs Atommanager und- wissenschaftler, und womöglich in diesem Zusammenhang mit Uwe Barschel ein deutscher Ministerpräsident während der versuchten Aufklärung der Zusammenhänge durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse auf unnatürliche Weise ums Leben gekommen. Und ganz am Ende hatte auch das Stündlein für die Zukunft der deutschen Atomwirtschaft geschlagen.

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Der schleswig holsteinische Ministerpräsident befand schon sich seit längerer Zeit im Visier mehrerer Nachrichtendienste. CIA-Agenten, einer mit dem Alias-Namen Don Frates, er könnte einem Agenten-Thriller entnommen sein, trafen sich mit Stasi-Spitzeln in Lübeck, nahe Barschels Heimatort Mölln, zu politisch hochbrisanten Themen. Geheimprotokolle der Stasi-Agenten zu solchen Gesprächen finden Sie in meinem Buch wieder. Dieselben Stasi-Spitzel, sie wurden übrigens auch vom BND bezahlt, trugen also auf zwei Schultern, kamen zugleich auch mit Ministeriellen aus der Barschel-Regierung zu konspirativen Treffs zusammen. Ziel dieser Treffs war vor allem, möglichst viel über Barschel und seine Regierung zu erfahren. –

Barschels Haus war, wie später bekannt wurde, von der Stasi verwanzt. Seine Telefonate aus der Regierungslimousine wurden von Spezialisten des Ministeriums für Staatssicherheit abgehört. Auf seinen zahlreichen Fahrten in die DDR wurde er von Stasi-Agenten auf Schritt und Tritt beobachtet. In dem folgenden Video sehen Sie, wie generalstabsmäßig diese Beobachtungen abliefen.

Dem deutschen Verfassungsschutz sowie dem BND lag nach der Wende ein Berg dieser umfassenden Beobachtungsprotokolle vor. Und trotzdem, auf meine an den BND gerichtete Frage was er denn jetzt, heute, über die geheimnisvollen Fahrten Barschels in die DDR wisse, erklärte ein Sprecher des Dienstes: Darauf könne er leider keine Antwort geben. Das Kanzleramt, dort sitzt der Koordinator der Geheimdienste, erklärte mir dann schriftlich auf meine eingereichten Fragen, ich war unzufrieden mit der BND-Auskunft: Wenn ich dieselben Fragen in einem Jahr noch einmal stellte, könnte ich vielleicht eine Antwort erhalten. Der BND sei zur Zeit damit beschäftigt seine Unterlagen zu digitalisieren.

FAZ Rückschau 20 Jahre nach dem Skandal
Geschrieben am 25. Januar 2008

Anfang vom Ende

Restlos geklärt wurden die Vorgänge rund um den Transnuklear-Skandal nicht. Sicher ist, dass er den Anfang vom Ende der Atomwirtschaft in Hanau markierte.

Schon längere Zeit vor dem Skandal hatte das deutsch-sowjetische Geschäft Gas gegen Röhren in Washington für größte Unruhen gesorgt. Und mein Verlag, mit seinem Magazin Bonner Energie-Report hatte in dem Zusammenhang mit einem Interview im Kreml, das ich mit dem stellvertretenden sowjetischen Ministerpräsident Leonid Kostandow geführt hatte, weltweit Schlagzeilen gemacht. SOVIET STILL SEEKS BONN ENERGY DEAL titelte die New York Times.

Das Interview im sowjetischen Kreml, nur Spiegel-Chef Rudolf Augstein und stern-Chef Henri Nannen, erlebten mehrfach diese Höhepunkte im Journalistenleben, war wirklich ein … , ja auf neudeutsch war es wirklich ein Event für mich. Die Reportage dazu will ich Ihnen nicht vorenthalten.

Ein sowjetischer‘Nowottny und große Gesten beim Interview im Kreml

wjatscheslaw-schachowWjatscheslaw Schachow ist so etwas wie ein sowjetischer Novottny, erklärte mir ein russischer Kollege. Er ist mein ständiger Begleiter während der zehn Tage, die ich Moskau, in Woronesch am Don und in der Hauptstadt des Tartarenreiches, Kasan an der Wolga, verbringe; immer korrekt, immer pünktlich. Heute, wo es zum Interview mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Leonid Kostandow gehen soll, ist er besonders pünktlich, besonders korrekt. Schon lange vor der Zeit wartet er, der bekannte Kommentator der sowjetischen Nachrichtenagentur APN mit der weißen Wolga-Limousine und Chauffeur vor dem Hoteleingang. Die Fahrt geht zunächst zur Agentur APN. Dort holen wir den sowjetischen Fotografen ab, der der während des Interviews im Kreml die Aufnahmen machen soll. Er trägt eine schwarze Baskenmütze und hat zwei Nikon-Kameras umgehängt.

Der Fotograf steigt vorne ein, mein Begleiter Schachow und ich nehmen auf dem Rücksitz Platz. Im Autoradio läuft der wohl zur Zeit größte sowjetische Hit „Millionen Rosen“. Die Fahrt zum Kreml, zum Interview mit Kostandow kann beginnen. Ich schaue auf Schachows Armbanduhr. Sie geht fünf Minuten vor. Sie geht immer vor. Schachow will über eine Zeitreserve verfügen, wenn es zu irgendeinem Termin geht. Weiß er doch noch nicht, ob ich ein pünktlicher oder unpünktlicher Mensch bin. Heute jedoch hat der Kollege eine zu große Reserve eingeplant, es ist noch zu früh. So fahren wir noch einmal um den Kreml, halten an und besprechen mit dem Fotografen die Bilder, die ich gerne haben möchte. „Eine Totalaufnahme und mindestens fünf Einzelbilder in Aktion“, ist mein Wunsch. Schließlich fahren wir los. Am Kreml-Eingang angekommen, blickt der Wachsoldat auf die Autonummer. Sie ist bereits bekannt. Wir dürfen passieren. Am Eingangstor des Gebäudes, in dem Kostandow residiert, werden wir von einem jungen persönlichen Referenten im eleganten grauen Zweireiher empfangen und in einen ovalen Empfangsraum – noch weit ab von Kostandows Büro geführt. Wir müssen noch fünf Minuten warten. Nach drei Minuten gehen wir schon los. Denn der Weg durch die Kreml-Flure ist lang. Vorbei geht es an den Büros von Außenminister Gromyko, von Lenin, dessen Zimmer hier zum Gedenken an den prägenden Mann des sowjetischen Kommunismus immer noch eingerichtet ist – schließlich sind wir im Vorraum des Büros des stellvertretenden Ministerpräsidenten angekommen. Alles ist hier peinlich korrekt geordnet. Ein junger Mann sitzt am Schreibtisch vor der Tür zu Kostandows Büro. Nach kurzem Warten geht die Tür auf. Der stellvertretende Ministerpräsident begrüßt uns mit großer Geste ausgesprochen freundlich. Er will sofort zur Sache kommen. Eine Stunde ist für das Interview angesetzt.

Ich frage ihn, wie er die heutige Lage einschätze verglichen mit den Spannungssituationen in der Nachkriegszeit. Bei seiner Antwort holt er weit aus. Schließlich erklärt er in der Zeit direkt nach dem Krieg seien die Spannungen noch nicht so stark gewesen, da noch nicht viele Raketen wie heute aufgestellt gewesen seien. „Es wird keinen Krieg geben, aber die Situation ist sehr gefährlich.“

Dann spricht er über die großen Wirtschaftsprojekte die die Sowjetunion gerne mit der Bundesrepublik zusammen durchführen würde. Hier im Wirtschaftsbereich fühlt er sich besonders gut zu Hause. Er ist bis ins Detail unterrichtet. Sogar über deutsche Firmenbesitzer, über Firmenanteile und Firmenverflechtungen weiß er Bescheid. Er entwickelt mir blitzschnell warum es in der Sowjetunion möglich sei alle Autos von Benzin aus Gas umzurüsten – die Sowjetunion sei ein zentral gelenkter Staat betont er- und warum das in der Bundesrepublik nicht ginge.

Die angesetzte Stunde ist bereits um zehn Minuten überschritten. Kostandow steht auf, kommt abermals mit großer Geste auf mich zu, schüttelt mir die Hand und sagt abschließend: „ Über-mitteln Sie den Leuten in der Bundesrepublik, dass wir den Krieg nicht wollen und den Frieden lieben und für eine Ausweitung der Handelsbeziehungen sind.“