„Der geplante Ausbau von Erdgas-Infrastruktur in Deutschland lässt sich nicht klimapolitisch begründen und birgt zahlreiche finanzielle Risiken. Zudem wird damit die geplante Energiewende verzögert“,  lauten  die Kernaussagen einer neuen Studie, die am vergangenen Donnerstag, 28. Januar,  von den Scientists for Future (S4F) veröffentlicht und bereits von Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag , und Julia Verlinden, Sprecherin für Energiepolitik der Fraktion  bei uns gestern Sonntag, 31. Januar, kommentiert wurde (s. unten).

"...wurden auch die Treibhausgasemissionen, die bei der Nutzung von Erdgas entstehen, lange unterschätzt...!".; Claudia Kempfert, Foto Roland Horn, DIW
“…wurden auch die Treibhausgasemissionen, die bei der Nutzung von Erdgas entstehen, lange unterschätzt…!”; Claudia Kempfert, Foto Roland Horn, DIW

Scientists for Future ist nach eigenen Angaben  ein überparteilicher und überinstitutioneller Zusammenschluss von Wissenschaftler*innen aus allen Disziplinen. „Angesichts der historisch beispiellosen, globalen Klima-, Biodiversitäts- und Nachhaltigkeitskrise sehen wir uns in der Pflicht, öffentlich und proaktiv die Stimme zu erheben“, heißt es auf ihrer Website.

Die Wissenschaftler weisen anlässlich ihrer Studie darauf hin, vor zehn Jahren sei die Begründung für die Nutzung von Erdgas (Methan) gewesen, dass es als Brückentechnologie für den Übergang in ein künftiges, fossilfreies Energiesystem gebraucht werde, weil es im Vergleich zu Kohle weniger CO2 ausstoße. Bei der Nutzung von Erdgas entstehen jedoch neben CO2 auch Methanemissionen und neuere Studien belegen, dass die Umweltfreundlichkeit von Methan weitaus zu positiv eingeschätzt wurde, konstatieren die Scientists. Satellitenbeobachtungen, präzisere Messungen und differenziertere Betrachtungen des Gesamtzyklus zeigten, dass Erdgas in seiner Wirkung als Treibhausgas genau so klimarelevant sein kann wie Kohlendioxid: „Neben der direkten Klimawirkung von Methan wurde auch die Gesamtmenge an Treibhausgasemissionen, die bei der Nutzung von Erdgas entstehen, lange unterschätzt,“ stellt S4F-Mitglied Claudia Kemfert fest und weiter mahnt sie: „Der vergleichsweise positiv erscheinende Wert für die spezifischen CO2-Emissionen von Erdgas relativiert sich stark, wenn nicht nur die direkten Emissionen, sondern die Treibhausgasemissionen über den gesamten Lebenszyklus berücksichtigt werden.“

Direkte Methanemissionen entstehen  laut Kempfert und der anderen Scientists bei Förderung, Lagerung, Transport und Verbrauch. Gerade hier habe sich das Bild in den letzten Jahren dramatisch verändert, seitdem Leckagen von Methan aus Pipelines und anderen Teilen der technischen Infrastruktur besser erfasst werden können. Dazu stellt Erdgasexpertin Hanna Brauers (S4F) fest: „Methanemissionen, die durch Leckagen, bewusstes Ablassen oder Abfackeln insbesondere bei der Erdgasförderung entstehen, wurden bisher nicht oder nicht vollständig in die Berechnung der Klimawirkung von Erdgas einbezogen.“

Der Transport von Erdgas als Flüssiggas erzeuge zusätzliche Treibhausgas-Emissionen.  Diese entstehen bei Flüssigerdgas-Importen, beispielsweise aus Qatar oder den USA, insbesondere durch die energieintensive Verflüssigung/Kühlung auf -160 °C und liegen in der Größenordnung der notorisch leckagebehafteten Pipeline-Importe aus Russland.

Auch bedeutet ein weiterer Ausbau der Erdgasstrukturen  ein erhebliches Risiko für die Finanzierung der Energiewende. Derzeit basieren immerhin 25 Prozent des deutschen Primärenergieverbrauchs auf Erdgas. Eine  Deckungslücke werde es jedoch in Zukunft nicht geben, heißt es in dem gemeinsamen Statement der Scientists zu ihrer Studie. Die meisten Zukunftsszenarien zeigten eine Abnahme des Erdgasverbrauchs. Mithin werde der weitere Ausbau von Erdgas-Infrastruktur zum finanziellen Risiko: in Europa ist Deutschland das Land mit den zweithöchsten Gasinvestitionsplänen. Rund 18,3 Milliarden Euro sind für Kraftwerke, Gasnetze und Flüssigerdgas-Terminals in Planung. Bei sinkendem Erdgasverbrauch drohen vorzeitige Stilllegungen und Unternehmensklagen auf Basis der Europäischen Energiecharta. Zudem fehlen diese Gelder für den Ausbau Erneuerbarer Energien.

Und dann gehen die Scientists in ihrer Studie auch darauf ein das Argument der Brückentechnologie habe aktuell eine Weiterung erfahren: will man anstelle fossiler Erdgasversorgung eine Wasserstofftechnologie und –infrastruktur aufbauen. Dafür sollen sich – so lautet die Begründung –Teile der Erdgas-Transportstruktur eignen.  Ob die zukünftige Nutzung von Wasserstoff den Ausbau der Erdgasinfrastruktur erfordert, muss schon aus energiewirtschaftlichen und klimapolitischen Gründen hinterfragt werden. Wichtiger wäre es, den Aufbau von europäischen Kapazitäten zur Wasserstofferzeugung ausschließlich aus erneuerbaren Energien und damit auch den Ausbau von erneuerbaren Energien voran zu treiben, lautet das Fazit der Scientists dazu.

Lesen Sie dazu auch unseren Bericht: Grüne: “Zusätzliche Erdgas-Infrastruktur steht dem Klimaschutz im Weg…!”