Während einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz am vergangenen Mittwochvormittag, 17. Mai , begründete Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck warum sein Staatssekretär Patrick Graichen trotz aller Verdienste kurzfristig  in den Vorruhestand versetzt wurde. Umwelt- und Energie-Report bringt hier einen Auszug aus Habecks längerer Begründungsrede für seine Aktion, die auch für ihn sehr schmerzlich sei, wie er erklärte.

„Patrick Graichen hat große Leistungen für dieses Land erbracht. ,.!" Robert Habeck bild andreas mertens bmwk
Patrick Graichen hat große Leistungen für dieses Land erbracht. ,.!” Robert Habeck bild andreas mertens bmwk

Letzter Anlass für Habecks Schritt wie er während seines Presseauftritts erklärte: Graichen soll ein Projekt des Berliner Landesverbandes des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) als „förderwürdig“ eingestuft haben, dem seine Schwester Verena Graichen bis Mai 2022 vorstand. Das Projekt sollte mit 600.000 Euro gefördert werden. Der Vorgang hätte Graichen weder vorgelegt werden dürfen, noch hätte er ihn abzeichnen dürfen, sagte Habeck. Das Geld sei aber noch nicht geflossen.

Eine erste kursorische Einschätzung des Vorgehens Graichens sei zunächst entlastend ausgefallen – was sich mit einer gründlicheren Prüfung geändert habe.

Hier Habecks Erklärung vor der Presse:

„Sehr geehrte Damen und Herren,

die letzten Wochen wurden von der Debatte über die Neubesetzung der dena-Geschäftsführung überschattet. Hierbei ist ohne Frage ein Fehler passiert. Wir haben über diesen Transparenz hergestellt und wir haben die Hebel in Bewegung gesetzt, damit die Geschäftsführung der dena neu ausgeschrieben wird und die dena befreit vom Verdacht von Interessenskonflikten arbeiten kann.

Wir haben außerdem die Berichterstattung rund um die Verwandtschaftsverhältnisse von Patrick Graichen zum Anlass genommen, um die Compliance-Verfahren, die aus diesen Gründen zu Beginn der Legislatur etabliert wurden, zu überprüfen und Transparenz bei Vergaben und Zuwendungen herzustellen. Diese Prüfungen wurden am 23. April beauftragt. Wir haben zwischenzeitlich die Listen der Anträge und Zuwendungen veröffentlicht.

Daraus können Sie entnehmen, dass die Aufträge und Zuwendungen an das Öko-Institut nicht gestiegen sind, sie bewegen sich in dem Bereich, der in den Vorjahren unter einer anderen politischen Leitung üblich war. Das gleiche gilt für die Zuwendungen an den BUND und Agora Energiewende. Das BMWK hat auch die Vorgänge, die zu Aufträgen und Zuwendungen geführt haben, auf Herz und Nieren geprüft.

Es wurde von unserem zentralen Rechtsreferat festgestellt, dass seit Beginn der Legislaturperiode – wie von den Compliance-Verfahren vorgesehen – keine Entscheidungen über Aufträge oder Zuwendungen an das Ökoinstitut oder Zuwendungen an den BUND e.V. unter Beteiligung von Staatssekretär Graichen getroffen wurden. Das gilt auch für Zuwendungen an Agora. Wir haben auch die Verfahren kritisch geprüft und bewusst sehr kritische und kleinteilige Fragen und auch Nachfragen gestellt. Im Zuge dieser Prüfungen ist nun ein Sachverhalt aufgetaucht, zu dem mir seit gestern Abend ein Prüfergebnis vorliegt.

Dieses Prüfergebnis ist der Grund für die heutige Pressekonferenz. Es ist ein Sachverhalt, der bislang öffentlich nicht diskutiert wurde und über den ich nun Transparenz herstelle. Dieser Sachverhalt hat mich im Rahmen der internen Prüfungen erstmals am Dienstag letzter Woche erreicht, die erste

"Er hat durch seinen überaus großen Einsatz Deutschland vor einer Gasmangellage bewahrt und maßgeblich dazu beigetragen, eine Wirtschaftskrise abzuwenden....!" Robert Habeck bild andreas mertens bmwk
Er hat durch seinen überaus großen Einsatz Deutschland vor einer Gasmangellage bewahrt und maßgeblich dazu beigetragen, eine Wirtschaftskrise abzuwenden….!” Robert Habeck bild andreas mertens bmwk

kursorische Einschätzung war aber entlastend. Es stellten sich aber eine Reihe von weiteren Fragen, um deren Klärung und gründliche Prüfung und Bewertung ich bat. Bei diesem Sachverhalt handelt es sich um einen Vorgang im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative.

Es ist eine sogenannte „Aufforderung zur Antragstellung“, also eine Vorstufe für konkrete Förderanträge. Entsprechend der Vorlage hat Patrick Graichen am 30.11.2022 die Vorlage und eine Liste mit drei Projektskizzen gebilligt. Eines dieser Projekte stammt vom BUND Landesverband Berlin (Fördersumme knapp 600 000 Euro). Es ist noch kein Geld geflossen, aber das Projekt wurde mit der Abzeichnung als förderwürdig eingestuft; die finale Förderentscheidung war damit im Prinzip nur noch eine Formsache. Es ist der Landesverband, nicht der Bundesverband. Allerdings ist im Landesverband Berlin die Schwester von Patrick Graichen Vorstandsmitglied. Sie hat zwar keine formale Vertretungsbefugnis, war aber laut Vereinsregister bis Mai 2022 Landesvorsitzende.

Insofern ist es, wie die tiefere Prüfung zeigt, als Compliance-Verstoß zu bewerten. Diese Vorlage hätte Patrick Graichen laut Compliance-Regeln weder vorgelegt werden dürfen noch hätte er sie abzeichnen dürfen. Es muss allein schon der Anschein der Parteilichkeit vermieden werden, und das ist hier nicht eingehalten worden. Außerdem gibt es einen zweiten Vorgang, der in einem Graubereich liegt, und den wir deshalb im Zuge der Prüfungen noch mal ausgeleuchtet haben. Es ist die Besetzung der Expertenkommission zum Energiewendemonitoring, bei der unter anderem Felix Matthes als Experte berufen wurde.

Der Vorgang liegt schon länger zurück. Auch hier kommt nun die vertiefte Prüfung, die mir seit gestern vorliegt, zum Schluss, dass der Anschein der Parteilichkeit besser hätte vermieden werden sollen. Um es festzuhalten: auch hier hat sich die Einschätzung geändert von erst entlastend zu belastend. Die Fehler sind unterschiedlich gravierend und stünde jeder dieser Fehler für sich allein, würde er eine solche dramatische Konsequenz, wie wir sie heute ziehen, nicht nötig machen. Aber die Fehler stehen eben nicht allein, sondern sind in der Gesamtschau zu sehen. Ich habe mich in den letzten Wochen trotz des schweren Fehlers bei der dena-Neubesetzung vor Patrick Graichen gestellt. Menschen machen Fehler, jeder und jede von uns. Aber um mit dem einen schweren Fehler umzugehen, muss ich sicher sein, dass die Compliance-Brandmauer, die wegen der Verwandtschaftsverhältnisse gezogen wurde, keine Risse hat.

Diese Risse hat sie nun. In der Gesamtschau hat sich Patrick Graichen damit zu angreifbar gemacht, um sein Amt noch wirkungsvoll ausüben zu können. Vor diesem Hintergrund sind Patrick Graichen und ich gestern Abend in einem persönlichen Gespräch darin übereingekommen, dass wir die gemeinsame Arbeit nicht fortsetzen. Ich beabsichtige daher, den Bundespräsidenten zu bitten, Patrick Graichen in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen. Dass Patrick Graichen in den letzten Wochen über das berechtigte Maß an Kritik und Aufklärung, so angefeindet wurde, dass von rechtsextremen Accounts Lügen über die Familie verbreitet und von prorussischen Accounts weiter gepusht werden, ist unerträglich. Das macht mir große Sorgen. Es ist nicht das erste und es wird sicher nicht das letzte Mal sein, aber so können und dürfen politische Debatten nicht ausarten.

Patrick Graichen hat große Leistungen für dieses Land erbracht. Er hat durch seinen überaus großen Einsatz Deutschland vor einer Gasmangellage bewahrt und maßgeblich dazu beigetragen, eine Wirtschaftskrise abzuwenden. Er hat die Energiewende wieder flott gemacht und Klimaschutz zum Regierungshandeln. Dafür danke ich ihm ausdrücklich.“

Lesen Sie dazu auch unsere Berichte: “…drohende schwere Energiekrise in Deutschland abgewendet… Dieser große Verdienst bleibt !!!“

und auch: Energiewende nicht an einzelnen Personen festmachen