Kondratjew: Die grünste Energie abgeschaltet
Kondratjew: Die grünste Energie abgeschaltet

Bemerkenswert: Der russische, in Deutschland nicht ganz unbekannte Wirtschaftsexperte Sergej Kondratjew* , nimmt Stellung zum deutschen Atomausstieg und zur geplanten C02-Minderung durch Stilllegung von Kohlekraftwerken.

Russland verfügt nach den USA gemäß BP-Review of World Energy mit über 157 Mrd. t über die weltweit zweitgrößten Kohlevorkom- men. Durch Verteuerung des Inlandpreises von Erdgas soll mehr und mehr auf Kohle umgestiegen werden. Es ist beabsichtigt den Gasexport zu steigern und Mehreinnahmen für den Staatshaushalt zu erzielen.
Wir veröffentlichen hier die  Aussagen  Kondratjews , die sicherlich nicht ohne Hintersinn zur Zeit von der russischen Nachrichten-Agentur Sputnik-news veröffentlicht werden, um auch eine mögli- che Einschätzung über Russlands Rolle zur weltweit angestrebten C02 –Minderung zu geben.

“Deutschlands freiwilliger Verzicht auf die eigene Atomkraft zugunsten von erneuerbaren Energiequellen verbessert die Umweltsituation nicht, wie der Wirtschaftsexperte der Stiftung „Institut für Energiewirtschaft und Finanzen“, Sergej Kondratjew, äußert.
Die Stromproduktion aus erneuerbaren Energiequellen wird in Deutschland von 86,2 Gigawatt im Jahr 2014 voraussichtlich auf 147,4 Gigawatt im Jahr 2025 zulegen. Aber angesichts des gleichzeitigen Baus von neuen Kohlebergwerken scheint eine wesentliche Kürzung der durch den Einsatz von mineralischen Energieträgern verursachten CO2-Emissionen kaum möglich zu sein. Das haben Experten der Forschungs- und Beratungsfirma GlobalData herausgefunden und in einem entsprechenden Bericht veröffentlicht.

Kohle: Hier inzwischen mehr und mehr verfemt, edle Zukunft in Moskau?
Kohle: Hier inzwischen mehr und mehr verfemt, edle Zukunft in Moskau?

Nach dem Atomunglück im japanischen AKW Fukushima-1 im Jahr 2011 hatte die deutsche Regierung den Verzicht auf die eigene Atomenergie angekündigt. Viele Experten fanden diese Entscheidung jedoch politisch motiviert und aus wirtschaftlicher Sicht unbegründet.
Die Experten haben Recht
„Die Experten haben völlig Recht, wenn sie glauben, dass Deutschland die CO2-Emissionen nicht um 40 Prozent gegenüber 1990 reduzieren kann“, sagt Kondratjew.

„Diese Zahl ist übrigens doppelt so groß wie das gesamteuropäische Ziel zum Abbau der Ausstöße. Meines Erachtens ist es sehr schwer, diese sehr umfassende Branche umzuformatieren und derartige Ergebnisse binnen nur weniger Jahre zu erreichen.“
Er verwies auf gewisse „Kosten bei der Regelung des europäischen, darunter auch des deutschen, Strommarktes in den letzten Jahren“. Der Anteil der alternativen Energie sei in dieser Zeit intensiv gewachsen. Dabei sei aber der Anteil der Stromproduktion mit Gas wesentlich geringer geworden – anders als der der Stromproduktion mit Kohle, wobei vor allem gerade diese sehr umweltschädigend sei, so der Branchenkenner.

Anteil von Kohle-Strom bleibt hoch
Nach seiner Auffassung ist das durch mehrere Faktoren bedingt. „Erstens war der Gaspreis im Wärme-Äquivalent viel höher als der Kohlepreis. Das führte dazu, dass die Stromproduktion mit Gas unrentabel wurde, und viele Unternehmen haben darauf verzichtet.

Am Ende ist eine Situation entstanden, in der der Anteil der erneuerbaren Energien einerseits wächst, andererseits aber bringt das keinen positiven Effekt für die Umwelt. Der Grund dafür liegt darin, dass der Anteil der Stromproduktion mit Kohle nach wie vor hoch bleibt.“
Angesichts dessen findet der Experte, dass Deutschlands Verzicht auf die Atomenergie „unlogisch“ sei. „Denn wenn Sie sich um eine maximale Beschränkung der CO2-Ausstöße bemühen, ist die Atomenergie sehr vorteilhaft. Es kam dazu, dass die Kohleenergie am Ende großenteils die Atomenergie ersetzt hat. Die Gasenergie hat jetzt den Markt wegen der Preisänderungen quasi verlassen. Die Nische der Kohleenergie ist gleichzeitig dank der Kürzung der Stromproduktion aus Atomenergie sogar noch größer geworden.“
Deutsche Paradoxe
Laut Kondratjew ist die Situation auf dem deutschen Energiemarkt paradox. „Auf der einen Seite wird ständig darüber gesprochen, dass die Umwelt verbessert und dass verschiedene ‚grüne‘ Initiativen gefördert werden sollten. Auf der anderen Seite wird eine der ‚grünsten‘ Energie- branchen künstlich ausgeschaltet.

Wenn Deutschland den Plan zur vorzeitigen AKW-Abschaltung nicht verabschiedet hätte, dann wären seine CO2-Ausstöße jetzt geringer gewesen“, so der Experte.
Die Stromproduktion mit Kohle sei der mit Gas wegen gewisser Marktumstände und nicht wegen einer besonderen Perspektive dieser Branche vorgezogen worden, sagte er weiter. „Die Gaspreise waren hoch, die Kohlepreise niedrig. Für die Stromproduzenten war es einfach ungünstig, Gaskraftwerke einzusetzen. Das System, das ursprünglich den Handel mit den Ausstößen ausbalancieren sollte, ist faktisch gescheitert.

Die Ausstoß-Quoten sind jetzt sehr billig…,

denn der Markt ist übersättigt. In Wahrheit sind die Ausstöße kaum beschränkt worden, und das Angebot dieser Quoten ist sehr groß.“ Angesichts dessen fühle sich die Kohlebranche „sehr wohl“ – vor allem alte Kohlekraft- werke, deren Betrieb nicht allzu teuer sei.

Ihre Gewinne seien ziemlich groß, so Kondratjew weiter. „In diesem Jahr hatte man keine Wahl der Qual zwischen den Kohle- und Gaskraftwerken. Natürlich hätte man die Stromproduktion mit Gas unterstützen können. Aber die Markt- und Preisstruktur ist so, dass die Stromproduktion mit Kohle günstiger ist.“
„In Deutschland ist eine paradoxe Situation entstanden: Man verfolgt angeblich ‚grüne‘ Ziele, hat aber dabei die ‚grünste‘ Energienbranche vom Markt gedrängt“, so der Experte. „Am Wettbewerb sind jetzt nur die Kohle- und die alternative Energie beteiligt. Das ist eine merkwürdige Situation, denn sie können sich nicht gegenseitig ersetzen und können deshalb durchaus gleichzeitig existieren.“

In den letzten Jahren gab es mehrere Konflikte
Was den von 44,7 auf 59,7 Prozent gewachsenen Anteil der alternativen Energien an der Energiebilanz angeht, so sei die Zahl von 40 Prozent ohnehin ziemlich hoch für Deutschland, findet der Branchenkenner – „vor allem für die Betreiber der Energieversorgungsysteme.

In den letzten Jahren gab es mehrere Konflikte, wenn die Stromproduktion in Deutschland an sonnigen und windigen Sommertagen stieg und der überflüssige Strom Nachbarn überlassen wurde. In Tschechien, das den überflüssigen Strom aus Deutschland erhielt, war man über eine solche Destabilisierung seines Energiesystems nicht gerade glücklich, denn es wurde dadurch kaum steuerbar. Die Tschechen mussten daran denken, was sie mit ihren Kraftwerken tun sollten und wo sie ihren Strom absetzen könnten.“
Ferner sagte Kondratjew, dass die alternative Stromproduktion sich ziemlich schwer steuern lasse. „Trotz der SmartGrid-Anlagen könnte es häufig zu ‚Blackouts‘ kommen. Beim Betrieb des Systems, das von alternativen Energiequellen abhängt, muss man die sich häufig verändernden Wetterbedingungen berücksichtigen, und das ist ziemlich kompliziert.

Wenn es sonnig ist und der Wind bläst …

Wenn es sonnig ist und der Wind bläst, ist alles in Ordnung. Wenn nicht, dann muss man andere Systeme haben – Gas- oder Kohlesysteme, die aber bei schönem Wetter nicht eingesetzt werden.

Jetzt stellt sich die Schlüsselfrage: Welcher Besitzer und welcher Betreiber akzeptieren so etwas? Und was wird das den Verbraucher kosten? Das ist auch eine wichtige Frage.“ Gleichzeitig verwies der Experte darauf, dass europäische Energieverbraucher, darunter auch deutsche, immer mehr zahlen müssen.
„Im Allgemeinen sind die Fortschritte bei der Senkung der Selbstkosten der Stromproduktion aus alternativen Quellen zwar offensichtlich. Da aber ihr Anteil sehr intensiv wächst, ist es trotzdem unklar, wie hoch der Strompreis in zehn Jahren ist und ob sich einfache Bürger und auch Industriebetriebe den Strom leisten können“, so Kondratjew.

Gehen Siemens oder Krupp  in andere Länder?

„Es könnte dazu kommen, dass deutsche Konzerne wie Siemens oder Krupp auf die Idee kommen, ihre Produk- tion anderswohin, in andere Länder zu verlagern.”
„Die Deutschen glauben offenbar, die auf ihrem Weg entstandenen Skylla und Charybdis irgendwie doch zu passieren. Meines Erachtens ist das aber ein sehr schwieriger und unklarer Weg in die helle Zukunft. Die deutschen Industriellen und Politiker haben sich von kleineren Gruppen wie Umweltexperten überreden lassen, die seit den frühen 1990er-Jahren auf der Schließung von Atomkraftwerken bestanden, ohne jegliche Argumente anzuführen. Obwohl es in Deutschland keinen Anlass (beispielsweise keine AKW-Havarien) gab, haben die Industriellen am Ende nachgegeben und versuchen jetzt, die entstandene unklare Situation wieder wettzumachen“, resümierte der Energieexperte.

Kondratjew: Preisträger des Peter-Boenisch-Gedächtnispreises 2011

Beim Petersburger Dialog wurde 2011 ein Sonderpreis an Wladimir Kondratjew für seine langjärhige und verdienstvolle Tätigkeit als Journalist verliehen. Wladimir Kondratjew ist einer der bekanntesten russischen TV-Journalisten, heißt es da anlässlich der Verleihung, und war über 11 Jahre in Deutschland tätig. Von 1986 bis 1994 leitete er die Vertretung des Gosteleradio der UdSSR. Еr war Chef der Filiale des Funk- und Fernsehkomplexes Ostankino in Bonn und von 1994 bis 1997 war er Direktor der Vertretung des TV-Kanals NTW in Berlin. Wladimir Kondratjew ist Autor des Films „Die Mauer“, einer Dokumentation in Spielfilmlänge, erschienen zum 20. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer. Es ist der erste Streifen dieser Art im russischen Fernsehen, der so ausführlich nicht nur über die Geschichte der Errichtung und des Falls der Berliner Mauer erzählt, sondern auch darüber, welche Ereignisse und welche Ursachen ihrer Errichtung vorangegangen sind und was nach ihrem Fall passiert ist.