Günther Oettinger wird neuer EU-Kommissar für Digitales. Doch haben seine im Interview mit Umwelt-Energie-Report geäußerten Forderungengerade jetzt Aktualität.

Angesichts der gegenwärtigen Ereignisse in der Ukraine „muss dringend gehandelt werden“, um eine Energiekrise zu verhindern, fordert der für Energie zuständige EU-Kommissar, Günther Oettinger im Interview mit Umwelt-Energie-Report.  So gelte es vor allem die Energieabhängigkeit zu verringern. Die EU plant, laut Oettinger, in diesem Zusammenhang Stresstests durchzuführen mit denen wunde Punkte im europäischen Energiesystem identifiziert werden sollen. Aufgrund dieser Ergebnisse sollen für den kommenden Winter Notfallpläne entwickelt werden. Kernenergie könne dabei zur Versorgungssicherheit in der EU beitragen. Wichtig sei in diesem Zusammenhang auch, dass die EU ausreichende Gas-Reserven aufbaue. „Wir sollten außerdem prüfen“, fordert der Energie-Kommissar, „wie wir die Energienachfrage mäßigen und auf andere Brennstoffe umstellen können.“

Frage U&E: Die Ukraine- Krise erhöht den Druck auf Europas Klimapolitik. Moskau, genauer die russische Gesellschaft Gazprom, hat erneut gedroht Europa den Gashahn zuzudrehen. Der Vorstand der deutschen Gesellschaft Wintershall stellt in einem Faktenpapier fest: Ohne Russland ist die jetzige und vor allem die künftige Versorgung Deutschlands und Europas mit Gas nicht zu gewährleisten. Gaskraftwerke spielen aber bei den neuen Klimazielen der EU eine wichtige Rolle. Muss nicht in diesem Zusammenhang, um diese Ziele verwirklichen und einhalten zu können, erneut über die Rolle der Kernenergie nachgedacht werden?

Günther Oettinger: Notfallpläne für den Winter.
EU-Kommissar Günther Oettinger: Notfallpläne für den Winter erstellen

Antwort Oettinger: Kernenergie kann zur Versorgungssicherheit in der EU beitragen. Allerdings entscheidet jeder Mitgliedstaat selbst darüber, ob er auf Kernenergie setzt oder nicht. Es ist Aufgabe der EU, im Interesse aller Mitgliedstaaten für einen Rechtsrahmen zu sorgen, der höchste Sicherheitsstandards gewährleistet.
Angesichts der gegenwärtigen Ereignisse in der Ukraine muss dringend gehandelt werden, um eine unmittelbare Krise zu verhindern und unsere Energieabhängigkeit zu verringern. Wir haben rasch reagiert und Ende Mai eine neue Strategie zur Stärkung der Energiesicherheit vorgelegt. Sie fußt auf kurz- und langfristigen Maßnahmen. So planen wir Stresstests, um wunde Punkte im europäischen Energiesystem zu identifizieren. Auf Basis der Ergebnisse sollen rechtzeitig für den kommenden Winter Maßnahmen ergriffen werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die EU ausreichende Gas-Reserven aufbaut. Wir sollten außerdem prüfen, wie wir die Energienachfrage mäßigen und auf andere Brennstoffe umstellen können. Weitere mittel- und langfristige Eckpfeiler unserer Strategie sind der Bau fehlender Gas-Verbindungsleitungen, die Diversifikation unsere Bezugsquellen und Lieferrouten, die Erhöhung der Energieeffizienz und die Vollendung des Energiebinnenmarkts. Zu den vorgeschlagenen Lösungen zählt außerdem der Ausbau der heimischen Energieerzeugung. Lesen Sie dazu auch: Noch wird verhandelt...

Atomunfall: Wer zahlt was, wie hoch ? Und wofür zahlen Staatsen und Atomkraftswerksbetreiber überhaupt?
Atomunfall: Gravierende Unterschiede bei Haftungsfragen

Frage U&E: In Teilen Europas wird die mangelnde Akzeptanz gegenüber der Kernenergie damit begründet, dass die Haftungshöhe der Betreiber von Kernkraftanlagen bei Katastrophen wie in Fukushima generell zu niedrig und die Schadensabdeckung durch Staat und Betreiber in fast jedem Land unterschiedlich geregelt ist. Einige osteuropäische Staaten sind dem Wiener Übereinkommen beigetreten. Das hat andere rechtliche Regelungen als das Pariser Übereinkommen dem sechzehn meist westeuropäische Staaten beigetreten sind. Das Pariser Übereinkommen (PÜ) schließt unter anderem die Haftung aus für Schäden, die auf eine schwere Naturkatastrophe wie in Fukushima zurückzuführen sind. Sie wollen in diesem Frühjahr noch einen Vorschlag für eine einheitliche Versicherung gegen AKW-Unfälle vorlegen. Kommt der noch? Und welchen Weg der Einbringung wollen Sie wählen?

 

Atomunfall: gravierende Unterschied bei den Haftungsfragen
Wer zahlt was und wofür und wie hoch?

Antwort: In ihren wichtigsten Grundsätzen stimmen das Pariser und das Wiener Übereinkommen zwar überein, aber in punkto Haftungshöhe und finanzielle Sicherheiten auf Betreiberseite bestehen Unterschiede. Dies hat zu einem Nebeneinander verschiedener nuklearer Haftungsregelungen in der EU geführt: Einige Mitgliedstaaten sind entweder dem Pariser oder aber dem Wiener Übereinkommen beigetreten und andere haben ihre Regelung auf ihr eigenes Recht gestützt. Um die Lage insbesondere im Falle eines schweren Nuklearunfalls zu verbessern, hat die Kommission in den vergangenen Jahren verschiedene Konsultationen durchgeführt. Dazu zählt eine Rechtsstudie aus dem Jahr 2009, um die Möglichkeit eines Beitritts der Europäischen Atomgemeinschaft zum Pariser Übereinkommen zu prüfen. Von 2011 bis 2013 konsultierte die Kommission eine Sachverständigengruppe zur Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie, in der verschiedene Stakeholder und einige Mitgliedstaaten vertreten waren. Auf ihrem letzten Treffen gab die Gruppe Empfehlungen ab für Maßnahmen innerhalb der Zuständigkeit der Europäischen Atomgemeinschaft in Bereichen wie Abwicklung von Schadensfällen, Versicherung und andere finanzielle Garantien sowie Ausgleichsbeträge. Ferner wurde 2013 eine Online-Konsultation durchgeführt, um die Haltung der Stakeholder zur Notwendigkeit eines Handelns auf EU-Ebene zu eruieren. Im Januar 2014 fand dann eine Konferenz über Versicherung und Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie statt.
Diese Konsultationen haben Fingerzeige darauf gegeben, in welchen Bereichen EU-Maßnahmen bezüglich der Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie einen Mehrwert haben könnten. Sie haben aber auch gezeigt, dass noch mehr getan werden muss. Auf der Basis der bisherigen Analysen und Konsultationen will die Kommission in den kommenden Monaten eine einschlägige Mitteilung vorlegen und weitere Stakeholder- Konsultationen zu Umfang und Gegenstand der vorgeschlagenen Initiativen durchführen.

Frage U&E: Selbst das  Pariser Übereinkommen(PÜ), 2004 gab es weitere wichtige Ergänzungen, ist in Gänze von den beigetretenen Staaten noch nicht ratifiziert worden. Das ist zehn Jahre her. Werden Sie, um schneller voranzukommen, eine Verordnung erlassen, die dann überall rechtsverbindlich ist? Werden Sie bei der Versicherungshöhe bedenken, dass die Betreiber von Kernkraftwerken zwar in Gänze bei einem Unfall haften, dass sich die Bilanzwerte der großen Energiekonzerne aber weiter nach unten entwickeln, wie in Deutschland zum Beispiel und die Rückstellungen der Konzerne für den Rückbau stillgelegter Kernkraftwerke möglicherweise identisch sind mit den in der Bilanz aufgeführten Werten?
Antwort: Meiner Ansicht nach sollten wir zunächst alles tun, um die EU-Mitgliedstaaten, die Vertragsparteien des Pariser oder des Wiener Übereinkommens sind, von der Ratifizierung der Änderungsprotokolle zu überzeugen. Dies dürfte unmittelbar dazu führen, dass in den meisten Mitgliedstaaten für Schadensersatzzahlungen wesentlich höhere Beträge verfügbar sind. Die Kommission prüft zurzeit die Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten bei diesem Prozess. Allerdings muss noch mehr getan werden. So müssen wir insbesondere die verfügbaren Kapazitäten der Versicherungs- und Finanzmärkte prüfen. Dabei sind die Auswirkungen höherer Sicherheitsanforderungen zu berücksichtigen, die mit der neuen Richtlinie zur nuklearen Sicherheit eingeführt würden. Die Kommission wird auch hierzu alle wichtigen Stakeholder konsultieren, um den notwendigen Konsens zu schaffen, bevor sie neue Vorschläge unterbreitet.

Lesen Sie hierzu auch das Interview mit der atompolitischen Sprecherin der Fraktion der GRÜNEN im Bundestag, Sylvia Kotting-Uhl: “Atom-Fan Oettinger ist da eine Fehlbesetzung”