Als einen wichtigen Grund, warum sich die Rekommunalisierung von Strom- und Gasnetzen immer schwieriger gestaltet als viel- leicht zunächst angenommen, sehen die Berater Ralf Westermann und Hartwig Kalhöfer* in der sich zur Zeit zu beobachtenden Recht- sprechung im Zuge zahlrei- cher Gerichtsverfahren, die von Alt- konzessionären oder von Kommunen, die die Strom- und Gasnetze nach Auslaufen der Konzessionen übernehmen möchten, angestrengt werden.

Wie rund 2000 andere Stadtwerke so steht auch die kleine Stadt hennef vor der frage, ob sie die Strom und Gasnetze übernehmen soll, Bild Hennef
Wie rund 2000 andere Stadtwerke so steht zur Zeit auch die kleine Stadt Hennef vor der Frage, ob sie die Strom und Gasnetze übernehmen soll, Bild Hennef.

Die Dynamik zur Umsetzung der Energiewende, in der die Kommunen vor allem eine wichtige Rolle spielen, könnte dadurch nicht nur an Geschwin- digkeit verlieren. Es könnten auch Ziele der Wende nicht erreicht werden.
Städte und Gemeinden sehen gerade die Neuvergabe auslaufender Konzes- sionen als Chance, mit dem örtlichen Betrieb von Energienetzen kommunale Einnahmen zu sichern sowie die lokale Energieversorgung  neu zu gestalten. Längst ist auch von ihnen erkannt, dass sich die Bürger mit ihrem Stadtwerk anders identifizieren als mit einem Energieversorger weit ab.

Das gefällt Altkonessionären nicht

Den Altkonzessionären , die bisher bekann- termaßen auch ein gutes Geschäft mit dem Netzbetrieb und häufig der gleichzeitigen Lieferung von Energie betrieben haben, gefällt diese Art der Rekommunalisierung verständlicherweise nicht. Sie müssten ja das ganze Netzgeschäft abgeben, verkaufen.
Deswegen wird oft bereits die Rechtmäßigkeit der Konzessionsneuvergabe bestritten. Kommunen, die sich mit der Idee tragen, lokale Netze selbst zu übernehmen, also zu (re)kommunalisieren, stehen somit vor der großen Aufgabe, Konzessionen rechtssicher zu vergeben.

BET-Berater Hartwig Kalhöfer
BET-Berater Hartwig Kalhöfer

Die aktuelle Vergabepraxis für Konzessionsvergaben orientiert sich an Leitfäden der Bundesnetzagentur und der Kartellämter. Sie wird aber auch zunehmend durch eine (höchst)richterliche Rechtsprechung geprägt, die aus eher allgemeinen Regelungen des Energiewirtschaftsgesetzes (§ 46 EnWG Wegenutzungsverträge) und dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung (§19 GWB Verbotenes Verhalten von marktbeherrschenden Unternehmen) entwickelt wird.

Behindert die höchstrichterliche Rechtsprechung die Rekommunalisierung?
Behindert die höchstrichterliche Rechtsprechung die Rekommunalisierung?

An einer Konzession interessierte Unternehmen müssen sich dem- nach in einem dis- kriminierungs-freien und transpa- renten Verfahren dem Wettbewerb darum stellen.

Kein Bewerber darf bevorzugt werden. Das gilt auch für die Kom- mune, die sich um die Netze auf eigener Stadtge- markung bewirbt. Der „beste“ Netz- betreiber ist im Verfahren zu ermitteln und zu konzes- sionieren. Etwa in 2000 Kommunen im gesamten Bundesgebiet steht zur Zeit die Neuvergabe der Konzessionen an. Eine Vielzahl der Vergabeverfahren, bei denen Altkonzessionäre nicht wieder zum Zug kommen, landet, obwohl vielleicht alle bisher bekannten Rechtsvorschriften berücksichtigt wurden, dennoch vor Gerichten. Die Rechtsprechung entwickelt sich bei den vielen Verfahren rasant weiter.

Nicht diskriminierungsfrei

Die Richter rügten zum Beispiel in der Vergangenheit häufig Vergaben als nicht diskriminierungsfrei oder als intransparent und hoben die Vergabeentscheidungen wieder auf. Urteilsbegründungen aus diesen gescheiterten Vergaben dienten danach als Basis für die Ausgestaltung nachfolgender Vergabeverfahren – doch auch diese werden nun vielfach wieder beklagt.
Derzeit gehen kommunale Vergabestellen deshalb vermehrt dazu über, umfangreiche Verfahrensbriefe an die Bewerber um Konzessionen zu verschicken. Auf diese Weise versuchen sie, den zunehmenden Ansprüchen zu genügen.
Man versucht, mit den Verfahrensbriefen im Vorfeld der Vergabe den Interessenten die nötige Transparenz zu verschaffen. „Das Auswahlverfahren muss zunächst so gestaltet werden, dass die am Netzbetrieb interessierten Unternehmen erkennen können, worauf es der Gemeinde bei der Auswahlentscheidung ankommt“, heißt es dazu in einem Urteil des Bundesgerichtshofs zur Konzessionsvergabe im Schleswig-Holsteinischen Berkenthin.

BET-Berater Ralf Westermann
BET-Berater Ralf Westermann

Um diesen Ansprüchen zu genügen, werden die im § 1 des EnWG aufgeführten Kriterien für die Energieversorgung und den Netzbetrieb in Unter- und Unter-Unterkriterien aufgegliedert und mit einer entsprechenden Gewichtung versehen. Diese Aufgliederung folgt auch Rügen aus Gerichtsurteilen zu ungültigen Vergabeverfahren. Unter anderem trotz dieser Aufgliederung scheiterte jedoch Ende 2014 beispielsweise auch die Vergabe der Gaskon- zession des Landes Berlin an das landeseigene Unternehmen Berlin Energie. Die Gewichtung der Unterkriterien sei „nicht hinreichend nachvollziehbar“ gewesen, urteilte das Landgericht Berlin.
Neben mangelnder Transparenz kann aber auch eine schon im Vorfeld der Vergabe festgelegte Gewichtung von Kriterien als unangemessen erachtet werden. „Die Auswahl […] ist vorrangig an Kriterien auszurichten, die das Ziel des § 1 EnWG […] konkretisieren“, heißt es in o.g. Entscheidung des BGH. Was dabei unter „vorrangig“ zu verstehen ist und wie daneben kommunale Belange wie Informations- und Kündigungsrechte zur Wirkung gebracht werden kön- nen, bleibt jedoch offen. Darüber hinausgehend wird auch die Angemessenheit der Binnengewichtung von Kriterien, die sich aus dem § 1 des EnWG herleiten, von verschiedenen Gerichten unterschiedlich eingeschätzt.

Woran ist die Preisgünstigkeit festzumachen?
Abgesehen von der Gewichtung der Kriterien stellt sich auch die Frage, an welchen Parametern die Vergabestelle deren Einhaltung überprüfen soll.

Woran ist etwa die vom EnWG verlangte „Preisgünstigkeit“ des Netzbetriebs festzumachen? Was bedeutet die Forderung nach „Effizienz“? Sich auf den ersten Blick anbietende Parameter wie die Netzentgelthöhe und der in der Anreizregulierung verankerte Effizienzwert erweisen sich bei genauerer Betrachtung als in weiten Teilen dafür ungeeignet.
Im Lichte der immer komplizierteren und detaillierteren Vorgaben für die Vergabe von Konzessionen erscheint es im Übrigen geradezu als absurd, wenn beispielsweise aktuell in Bayern weiter Musterkonzessionsverträge entwickelt werden. Diese konterkarieren das auch von den angerufenen Gerichten mitgestaltete Bemühen um einen wettbewerblichen Rahmen, der eine deutliche Differenzierung der Anbieter ermöglichen und damit den besten Netzbetreiber zu Tage fördern soll.
Durch Musterverträge erzwungene, gleichlautende Angebote dürften klare – und damit rechtssichere – Entscheidungen für „den besten Bewerber“ nicht einfacher machen.
Im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung heißt es: „Wir werden das Bewertungsverfahren bei Neuvergabe (zum Beispiel bei der Rekommuna- lisierung) der Verteilnetze eindeutig und rechtssicher regeln sowie die Rechts- sicherheit im Netzübergang verbessern.“ Der gesetzgeberische Reformprozess für dieses sehr begrüßenswerte Ansinnen wird derzeit angeschoben und soll noch in der ersten Jahreshälfte abgeschlossen werden.

Das Bundesverfassungsgericht muss nun entscheiden
Derweil wird die Rechtsentwicklung weiter von den Gerichten vorangetrieben. Ob deren Eigendynamik jedoch überhaupt tragfähig ist, muss nun das Bundes- verfassungsgericht entscheiden.

Auf die jüngste Kommunalverfassungsbe- schwerde der Stadt Titisee-Neustadt „gegen das Kartellrechtliche Regime bei der Vergabe von Energiekonzessionen“ hin müssen die Karlsruher Richter klären, ob die Auswüchse der Konzessionsvergabepraxis unter dem Postulat des absoluten Wettbewerbs und damit verbundene Einschränkungen der kommunalen Selbstbestimmung verfassungsrechtlich zulässig sind.
Es ist zusammenfassend derzeit zu beobachten, dass Rekommunalisierungen von Netzen insgesamt deutlich einfacher vonstattengehen, wenn Kommunen bei dem angestrebten Erwerb von Konzessionen die Altkonzessionäre einbeziehen und sich beispielsweise im Rahmen gemeinsamer Netzgesellschaften dem Konzessionswettbewerb stellen. Die Praxis zeigt jedoch auch, dass mit politischem Rückhalt, guter energiewirtschaftlicher und juristischer Beratung sowie mit dem nötigen Durchhaltevermögen auch andere, selbstständige kommunale Lösungen gelingen können.

*Hartwig Kalhöfer und Ralf Westermann, Berater, Büro für Ener- giewirtschaft und technische Planung GmbH, Aachen.
Zielgruppen des Beratungsunternehmens BET sind Energiever-sorger, Stadtwerke und neue Marktteilnehmer. Der Hauptsitz der Gesellschaft ist in Aachen. Darüber hinaus gibt es Büros in Leipzig und Hamm sowie eine Tochtergesellschaft in der Schweiz, die BET Dynamo Suisse AG. Zu den Kunden des Unternehmens gehören neben den beschriebenen Beratungszielgruppen große private Energieversorger sowie Energiehändler, Kraftwerksbetreiber und viele Institutionen mehr.