Rolf Stalder, Schweizer Botschafter bei der Internationalen Atom-Organisation in Wien, im Interview mit Umwelt und Energie-Report.

21.01.15

Die Schweiz hat bei der IAEO in Wien einen Änderungsvorschlag für die Convention on Nuclear Safety CNS eingereicht. Dieser verlangt, dass neue Kernkraftwerke nach den neuesten Sicherheitsstandards und Technologien gebaut sein müssen. Die Sicherheit der bestehenden Kernkraftwerke soll sich an diesen Maßstäben orientieren. Eine Mehrheit der anwesenden Vertragsparteien der Convention on Nuclear Safety CNS ist im April vergangenen Jahres der Schweiz gefolgt und hat den Willen bekundet, die Konvention zu ändern. Während der bevorstehenden diplomatischen Konferenz der IAEO, die vom 9.bis 13.Februar in Wien stattfindet, wird der Vorstoß der Schweiz weiter behandelt, sicherlich sehr heiß debattiert.

Sollte eine Zweidrittelmehrheit der Vertragsstaaten dem Änderungsvorschlag zustimmen wäre der Vorschlag der Schweiz Atomkraftwerke weltweit sicherer zu machen angenommen. Die nationalen Parlamente müssten dann nur noch die völkerrechtlich verbindliche Convention Nuclear Safety ratifizieren. Die Staaten, die das nicht täten, würden damit deutlich kundtun dass ihnen Geld vor Sicherheit geht.Wir haben den Botschafter der Schweiz, Rolf Stalder,  nach den Aussichten des Schweizer Vorstoßes bei der IEAO gefragt.

Botschafter Rolf Stalder
Botschafter Rolf Stalder

“… gut überlegen, ob Kosteneinsparungen bei der Sicherheit gut investiertes Geld sind.”

Frage: Herr Botschafter, Sie vertreten als Botschafter der Schweiz bei der IAEO den Vorstoß Ihres Landes. Können Sie noch ruhig schlafen. Einige Länder wie die USA und Kanada betreiben Atomkraftwerke die älter als dreißig Jahre sind und kaum nachgerüstet wurden. Würde der Schweizer Vorschlag von der Mehrheit angenommen, müssten diese Länder etliche Milliarden in die Hand nehmen.

Antwort: Viele Länder haben bereits sehr viel Geld in die kontinuierliche Nachrüstung bestehender Anlagen investiert. Das Alter einer Anlage alleine ist daher kein Indikator, wie es um die Sicherheit bestellt ist. Wenn diese Investitionen in die Sicherheit aber ausgeblieben oder zumindest minimal waren, kann das zu einem erhöhten Unfallrisiko führen. Diejenigen Staaten, welche in der Vergangenheit zu wenig getan haben sollten es sich angesichts der enormen Kosten eines Nuklearunfalls gut überlegen, ob Kosteneinsparungen bei der Sicherheit gut investiertes Geld sind.
Frage: Bei Russland weiß man nicht mal wie genau der Stand der Technik ist. Kann es die IAEO erreichen hier einen genauen Einblick zu erhalten?

Antwort: Die Überprüfung der Betriebssicherheit von Nuklearanlagen durch die IAEO geschieht auf freiwilliger Basis und gehört daher nicht zu den Kernaufgaben der Organisation. Das gleiche gilt für die Ausarbeitung von Sicherheitsstandards durch die IAEO, die von den Betreibern auf freiwilliger Basis übernommen werden können. Im Gegensatz dazu hat es sich die Konvention über Nukleare Sicherheit (CNS, Convention on Nuclear Safety) zur Aufgabe gemacht, die Frage der Betriebssicherheit von zivilen Kernanlagen in den Mitgliedstaaten regelmässig zu diskutieren und Empfehlungen für Verbesserungen abzugeben. Aus diesem Grund ist die Transparenz zwischen den Mitgliedstaaten der Konvention von grösster Bedeutung.
Frage: Kann der Vorschlag Ihres Landes auch gegen den Willen von Russland, Kanada und den USA angenommen werden?

Antwort: Die CNS sieht in Artikel 32 einen Mechanismus vor, wie der Vertragstext angepasst werden kann. Wenn ein Änderungsvorschlag eingebracht wird, kann dieser einvernehmlich von den Vertragsstaaten verabschiedet werden. Kommt kein Konsens zustande, können die Vertragsstaaten den Vorschlag im Rahmen einer Diplomatischen Konferenz weiter beraten, sofern sich mindestens zwei Drittel der anwesenden Vertragsstaaten dafür aussprechen. Genau das ist mit dem Schweizer Vorschlag geschehen. Die Vertragsstaaten haben sich Anfang April 2014 mit einer Mehrheit von über zwei Dritteln für die Einberufung einer Diplomatischen Konferenz ausgesprochen. Diese findet in der Woche vom 9. Februar 2015 in Wien statt. Wenn sich die Vertragsstaaten dann einigen oder mit einer Mehrheit von zwei Dritteln aller Vertragsstaaten für den Vorschlag aussprechen, ist dieser angenommen. Damit er anschließend rechtskräftig wird, müssen ihn mindestens drei Viertel aller Vertragsstaaten ratifizieren. Wenn ein Vertragsstaat die Vertragsänderung nicht ratifiziert, tritt sie für diesen Staat auch nicht in Kraft. Um nun auf die konkrete Frage zurück zu kommen: Wenn die oben beschriebenen Mehrheiten zustande kommen, kann ein Änderungsvorschlag auch gegen den Willen einzelner Vertragsstaaten angenommen werden. Wie im internationalen Recht üblich, hat jeder Staat eine Stimme, unabhängig von seiner Größe oder politischen Bedeutung.
Frage: ENSI-Direktor Hans Wanner hat in einem Interview erklärt die Stoßrichtung Schweizer Vorschlags werde von den meisten Ländern geteilt, aber die Bereitschaft, den langwierigen Prozess der Änderung der Konvention wird von einigen Ländern als zu aufwendig erachtet.

Antwort: In der Tat haben die Diskussionen im Rahmen der CNS nach dem Unfall von Fukushima Daiichi gezeigt, dass alle Vertragsstaaten Maßnahmen zur Verhinderung großflächiger Kontaminationen nach einem Nuklearunfall begrüßen. Der von der Schweiz vorgeschlagene Text zur Anpassung der CNS basiert denn auch auf diesen Beratungen. Verschiedene Vertragsstaaten haben aber zu bedenken gegeben, dass der nach einer Verabschiedung einer Konventionsanpassung notwendige innerstaatliche Ratifikationsprozess langwierig und mit gewissen politischen Risiken behaftet ist. Diese Bedenken sind nicht ganz von der Hand zu weisen, da es in der Vergangenheit in der Tat verschiedene Beispiele gegeben hat, bei denen selbst Länder, die eine bestimmte Änderung vorgeschlagen haben, diese dann auf nationaler Ebene nicht umsetzen konnten.

Frage: Kann das bedeuten, dass der berechtigte und gut gemeinte Vorschlag letztendlich bei einer zu langen Verhandlungsdauer auf der Strecke bleibt. Oder lässt er sich nicht mehr stoppen, weil die Schweiz sich nicht stoppen lässt?

Antwort: Wie in der vorhergehenden Antwort erwähnt, besteht die Gefahr tatsächlich, dass der von den Regierungen in den Verhandlungen gut geheißene Vorschlag an der Ratifizierung auf nationaler Ebene scheitert.
Frage: Die IEAO berichtet als Teil der UN regelmäßig der Generalversammlung der Vereinten Nationen und darüber hinaus auch dem Sicherheitsrat der UN, wenn sie eine Gefährdung der internationalen Sicherheit feststellt. Eine Mehrheit der anwesen-den Vertragsparteien der Convention on Nuclear Safety CNS hat mit der Zustimmung zum Schweizer Vorstoß eingestanden, dass durch unsichere Atomkraftwerke die internationale Sicherheit gefährdet ist. Müsste nicht bereits ein solcher Bericht an die UN abgegangen sein?

Antwort: Die Berichte der IAEO betreffend eine Gefährdung der internationalen Sicherheit (engl. international security) werden dann gemacht, wenn zum Beispiel befürchtet werden muss, dass Nuklearmaterialien oder Technologien für militärische Zwecke missbraucht werden könnten. Für die Betriebssicherheit von zivilen Nuklearanlagen (engl. nuclear safety) besteht hingegen kein solches Mandat der IAEO. Wie bereits oben erwähnt ist dies die primäre Verantwortung der Betreiberstaaten. Gerade weil auf internationaler Ebene bis zum Unfall von Tschernobyl im Jahre 1986 kein rechtsverbindliches Instrument bestand, wurde die CNS ins Leben gerufen.

Hintergrund und mehr …

Ausschnitt vom Titelbild unseres Magazins 1988, kurz nach Aufdeckung des größten deutschen Atomskandals: Umweltminister Prof. Dr. Klaus Töpfer in der Mitte
Ausschnitt vom Titelbild unseres Magazins 1988, kurz nach Aufdeckung des größten deutschen Atomskandals: Umweltminister Prof. Dr. Klaus Töpfer in der Mitte

Das Übereinkommen über nukleare Sicherheit (engl. Convention on Nuclear Safety, CNS) wurde unter dem Eindruck der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl auf maßgebliche Anregung des damaligen deutschen Umweltministers Klaus Töpfer bei der Internationalen Atom Energie Organisation in Wien verhandelt und alle notwendigen Institutionen zur Durchführung der erarbeiteten Maßnahmen und Ergebnisse dort angesiedelt. Die Ziele, die mit dem Übereinkommen festgelegt wurden, sollten allein nationale Pflichten zur Umsetzung haben. Das Übereinkommen trat nach mehreren Verhandlungsrunden und der notwendigen Mitgliederzahl am 24. Oktober 1996 in Kraft. Deutschland ist seit 20. April 1997 Vertragspartei.
Das Übereinkommen ist bislang von 76 Vertragsparteien gezeichnet und von 65 Staaten sowie von EURATOM ratifiziert, angenommen oder genehmigt worden. Nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima 2011 wurde beschlossen, dass die in Wien im Rahmen der CNS von den Vertragsparteien beschlossenen Maßnahmen international umgesetzt werden müssen. Das Vertragswerk Convention of Nuclear Safety hat völkerrechtlich bindenden Charakter.
Der Schweiz gingen diese Verpflichtungen angesichts der neuen Atomkatastrophe in Fukushima nicht weit genug. nicht genug. Auslöser mehr zu fordern war dieser Reaktorunfall in Fukushima 2011. „Dieser Unfall wie auch derjenige in Tschernobyl haben gezeigt“, so die Leiterin der Presseabteilung des Schweizer Departements für Umwelt und Energie, Marianne Zünd, gegenüber Umwelt und Energie-Report, dass Unfälle in Kernkraftwerken internationale Herausforderungen sind. Wir haben deshalb 2013 bei der IAEA einen Änderungsvorschlag für die Convention on Nuclear Safety CNS eingereicht. Dieser verlangt, dass neue Kernkraftwerke nach den neuesten Sicherheitsstandards und Technologien gebaut sein müssen. Die Sicherheit der bestehenden Kernkraftwerke soll sich an diesen Maßstäben orientieren. 21.01.15
Diese Forderung sollte bisher in das Vertragswerk der CNS eingearbeitet und damit auch völkerrechtlich verbindlich sein. Das Vertrag in der neuen Form müsste dann aber erneut von den nationalen Parlamenten der Vertragsstaaten ratifiziert werden.
Hier setzen Mitgliedsstaaten der CNS wie die USA und Kanada ihren Hebel an, um das gesamte Ziel möglichst ins Leere laufen zu lassen. Mit der Frage wie es denn weiter gehen solle, wenn Kongress und Senat in Washington nicht zustimmten, versuchen sie die Schweizer auszubremsen. Aus eigener Sicht haben sie sicher guten Grund dazu. Gut hundert ihrer Atomkraftwerke gehören mit durchschnittlich fünfunddreißig Jahren Laufzeit zu den weltweit ältesten Atomkraftwerken. Sie gelten darüber hinaus als technisch überholt. Eine Nachrüstungspflicht würde also für Staaten wie die USA sehr teuer werden. Zum letzten Treffen zur Änderung der Nuklear-Konvention im April 2014 hatte Washington bereits eine ungewöhnlich hochkarätige Delegation nach Wien geschickt. Sicherlich waren sie auch sehr gut vorbereitet auf das was sie erwartete. Zur Vorbereitung der Konferenz, die alle drei Jahre stattfindet, und zum zwischenzeitlichen Austausch der Informationen und Dokumente wird vom Sekretariat der Konferenz eine Passwort-geschützte Website betrieben.

Für jeden Vertragsstaat erhält eine Person Lese- und Schreibrecht, um die eigenen Dokumente , Berichte und auch Fragen hochzuladen. Eine unlösbare Aufgabe für den weltweit führenden Geheimdienst NSA? 21.01.15 NSA

Im Dezember 2004 wurde bekannt, dass der damalige Generaldirektor der Organisation, Mohammed al Baradei, von den USA systematisch belauscht worden war. El-Baradei wusste, dass die USA gegen ihn arbeiteten. Nach Bekanntwerden der Lauschangriffe vermutete er, dass die US-Regierung versuchten belastendes Material zu finden, um ihn zu erpressen und aus dem Amt zu drängen. Auch jetzt geht es bei der Diplomatischen Konferenz um viel für die USA.
Die Schweizer sind sich bewusst, dass ihr Ziel die alten Atomkraftwerke auf den neuesten Sicherheitsstand der Technik nachzurüsten und neue nur nach diesem Standard gebaut werden dürfen, auch im völkerrechtsverbindlichen Vertragswerk der Convention on Nuclear safety scheitern kann, weil nationale Parlamente zum Beispiel in den USA das Vertragswerk nicht ratifizieren würden. Deshalb haben sie sich ein weiteres Ziel gesetzt. Die Regierungen sollen diesen Vorstoß in ihre Politik aufnehmen. Schweiz fordert: Atomkraftwerke weltweit sicherer machen; NSA: Cyberkrieg gegen Stromleitungen