29.04.15 Brand Tschernobyl

Der russische Energieminister Alexander Nowak und auch der Chef des russischen Staatskonzerns Gazprom, Alejei Miller, erklären kategorisch nach 2019 „wird kein Gas mehr durch die Ukraine in Richtung Westen geliefert.“ Ist Brüssel bereits in höchster Sorge?

Bleibt dann im Westen „die Küche kalt?“, wollen wir von Energie-Kommissar Canete wissen?
Denn Miller und Nowak erklären zugleich die künftigen Gas-Lieferungen würden durch die neue Pipeline Türkischer Strom in Richtung Ankara abgewickelt. Brüssel müsse selbst dafür sorgen wie das Gas dann nach Europa gelange. Und, um deutlich zu machen wie die Lage dann in Europa aussieht schildert Nowak seine Einschätzung: „Alternative Projekte zur Gasversorgung Europas werden mittelfristig nicht in der Lage sein, den Energiehunger des Kontinents zu stillen, weil diese Projekte nicht effektiv genug sind oder nicht mit ausreichenden Gasmengen gedeckt werden können.“
Und, um ja kein Missverständnis aufkommen zulassen, weisen die Russen darauf hin, dass der Bau der Pipeline „Türkischer Strom“ bereits in diesem Monat beginne. Wir fragten den angesichts der Lage augenblicklich stark beschäftigten Kommissar Canete zur Brüsseler-Sicht. Eine Sprecherin gab uns, abgestimmt mit ihm, die Antworten auf unsere Fragen.

Frage: Bisher haben der russische Energieminister Alexander Nowak und auch der Chef des russischen Staatskonzerns Gazprom, Alejei Miller, immer wieder betont, dass nach 2019 kein Gas mehr durch die Ukraine in Richtung Westen geliefert werde. Gazprom-Chef Alexej Miller: Für Europa „gibt es keine anderen Varianten zur Beseitigung der Risiken bei den Gastransitlieferungen durch die Ukraine, als die neue Gasleitung Türkischer Strom.“ Moskau beginnt bereits mit dem Bau der Pipeline. Nowak und Miller erwarten, dass die EU-Staaten, inklusive Deutschland also, das Gas dort in der Türkei abholen. Trifft Brüssel mit Mitgliedsstaaten bereits Vorbereitungen zum Bau einer entsprechenden Pipeline?

Für EU-Kommissar Canete beantwortete seine Sprecherin  unsere Fragen
Für EU-Kommissar Canete beantwortete seine Sprecherin unsere Fragen

Antwort: Die Europäische Kommission ist mit den EU-Staaten derzeit zu diversen regionale Infrastruktur-Lösungen zu in Kontakt. Die Energieversorgungs- sicherheit und Kooperation bei der Frage von Gaslieferungen in Zentralost/Südosteuropa und er Ukraine sind ein der vordersten Prioritäten der Europäischen Kommission.
Deshalb hat die Europäische Kommission eine hochrangige Arbeitsgruppe zu diesen Fragen mit den betroffenen EU-Staaten ins Leben gerufen (High-level Working Group on Central Eastern and South-Eastern Europe Gas Connectivity (CESEC)). Sie soll die wichtigsten regionalen Infrastruktur-Bedürfnisse identifizieren – um fehlenden Verbindungen zu ergänzen und die Sicherheit der Gasversorgung zu verbessern. Das ist Kommissionspriorität. Ziel ist es, dass jeder EU-Staat mindestens Zugang zu drei verschiedenen Lieferquellen hat.
Das nächste Treffen der CESEC findet auf Expertenebne am 10. Juli in Dubrovnic statt.

Frage: Anlässlich der Ukraine-Krise hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung(DIW) zwei Szenarien untersucht: Einmal einen teilweisen Lieferstopp bei Erdgas, bei dem kein Gas mehr durch die Ukraine in die EU-Staaten fließen würde, und zweitens einen totalen Lieferstopp bei russischem Erdgas. Bleiben wir beim ersten Fall, dem Ukraine- Szenario, dann wäre ungefähr die Hälfte des für die EU-Staaten bestimmten russischen Erdgases blockiert, manche der ost- und südosteuro- päischen zu fast hundert Prozent. Ein Szenario bei dem es einem schon heute kalt über den Rücken laufen muss oder sehen Sie Abhilfemöglichkeiten.

Antwort: Die Europäische Kommission hat bereits vor einigen Monaten Stresstests zur Energiesicherheit vorgestellt und ihre Strategie zur Stärkung der Versorgungssicherheit vorgestellt.

Mehr Informationen hier: http://ec.europa.eu/deutschland/press/pr_releases/12408_de.htm, hier: https://ec.europa.eu/energy/sites/ener/files/documents/IP-14-1162_EN.pdf und hier: https://ec.europa.eu/energy/en/topics/energy-strategy/energy-security-strategy.

Der Kommissionsbericht aus dem Jahr 2014 zur kurzfristigen Krisenfestigkeit des Gassektors hat herausgestellt, wie wichtig eine stärkere Zusammenarbeit in Europa ist, um auf etwaige Unterbrechung von Gaslieferungen zu reagieren. In der Strategie geht es auch um mittel- und längerfristige Lösungen. Dazu gehören:
• Die Vollendung des Energiebinnenmarkts und der Bau fehlender Infrastrukturverbindungen sind von wesentlicher Bedeutung, um auf mögliche Versorgungsstörungen dadurch rasch reagieren zu können, dass die Energieflüsse in der EU dorthin gelenkt werden, wo sie benötigt werden.
• Diversifizierung der Lieferländer und Versorgungswege. Im Jahr 2013 stammten volumenmäßig 39 Prozent der Erdgaseinfuhren in die EU aus Russland, 33 Prozent aus Norwegen und 22 Prozent aus Nordafrika (Algerien, Libyen). Die EU wird ihre Beziehungen zu verlässlichen Partnern aufrechterhalten. Gleichzeitig strebt sie Beziehungen zu neuen Partnerländern sowie neue Versorgungsrouten an, z. B. in der Region des Kaspischen Beckens durch den Ausbau des Südlichen Gaskorridors, durch die Entwicklung des Mittelmeer-Gashubs und durch vermehrte Flüssiggaslieferungen.

EU-KommissarCañete
EU-KommissarCañete

• Stärkung von Notfall- und Solidaritätsmecha- nismen und Schutz kritischer Infrastruk- turen. In diesem Zusammenhang wird die Kommission z. B. die Bestimmungen und die Durchführung der Verordnung zur sicheren Erdgasversorgung überprüfen.
Erhöhung der einheimischen Energieproduktion: Dazu zählen unter anderem der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien und die nachhaltige Gewinnung fossiler Brennstoffe.
Verbesserte Koordinierung der nationalen Energie- politiken und geschlossenes Auftreten in der externen Energiepolitik. Die Kommission will bei geplanten zwischenstaatlichen Abkommen mit Drittstaaten, die sich auf die Versorgungssicherheit auswirken könnten, frühzeitig beteiligt werden. Die Kommission wird ferner dafür sorgen, dass alle derartigen Vereinbarungen und alle Infrastrukturprojekte im Hoheitsgebiet der EU die einschlägigen EU-Vorschriften in vollem Umfang einhalten.
• Weiterentwicklung von Energietechnologien.
• Steigerung der Energieeffizienz. Da 40 Prozent unseres Energieverbrauchs und ein Drittel unseres Erdgasverbrauchs auf Gebäude entfallen, spielt dieser Sektor eine entscheidende Rolle.
Im Rahmen der Energieunion ist folgendes geplant:
Im Rahmen einer neu belebten europäischen Energie- und Klimapolitik wird die EU alle ihr zur Verfügung stehenden außenpolitischen Instrumente für den Aufbau strategischer Energiepartnerschaften mit immer wichtiger werdenden Erzeuger- und Transitländern bzw. -regionen wie Algerien und der Türkei, Aserbaidschan und Turkmenistan, dem Nahen und Mittleren Osten sowie Afrika und anderen potenziellen Lieferanten einsetzen.
Die EU wird ferner ihre Partnerschaft mit Norwegen, dem zweitgrößten Erdöl- und Erdgaslieferanten der EU, weiter ausbauen. Sie wird Norwegen auch in Zukunft in vollem Umfang in die EU-interne Energiepolitik einbeziehen. Die EU wird auch ihre Partnerschaften mit Ländern wie den USA und Kanada weiterentwickeln.
Besonderes Augenmerk wird auf dem Ausbau der strategischen Energiepartnerschaft mit der Ukraine liegen. Dabei geht es um Fragen im Zusammenhang mit der Bedeutung der Ukraine als Transitland und der Reform des ukrainischen Energiemarktes (Ausbau des Erdgasnetzes, Schaffung eines angemessenen rechtlichen Rahmens für den Strommarkt, Steigerung der Energieeffizienz in der Ukraine
(Mitteilung zur Energieunion, Seite 7: http://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:1bd46c90-bdd4-11e4-bbe1-01aa75ed71a1.0002.01/DOC_1&format=PDF)
Frage: Der Bau einer Pipeline, um das russische Erdgas ab 2019 aus der Türkei abholen zu können, kostet viel Geld. Das muss vermutlich der Verbraucher mit seiner Gasrechnung bezahlen. Ist also damit zu rechnen, dass in dem Fall die Gaspreise in Europa ansteigen?

Antwort: Die Pläne für eine von Russland angekündigte “Turkish Stream” Pipeline müsste die Kommission sowohl mit Blick auf ihre Wirtschaftlichkeit als auch ihre Kompatibilität mit den EU-Regeln und möglichen rechtlichen Konsequenzen prüfen. Dafür wären aber mehr Informationen notwendig. In jedem Fall erwartet die Kommission, dass beim möglichen Bau einer solchen Pipeline alle EU-Vorgaben beachtet werden. Griechenland ist als EU-Land Partner beim Ausbau der Energieunion. Da die Kommission bei dieser Pipeline aber nicht als Wirtschaftspartner involviert ist, können wir auch zu Kosten nicht spekulieren – dazu müssten Sie sich an Gazprom wenden.

Frage: Zwei Tage berieten die G7-Energieminister, Sie Herr Minister waren dabei, kürzlich in Hamburg auch über das Bestreben Europas die sehr große Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen zu verringern. Die USA haben inzwischen die Nöte erkannt und reagiert. Sie, die bisher noch LNG importierten, wollen nicht nur aufgrund ihrer Fracking- ‚Erfolge‘ zum weltgrößten Exporteur von verflüssigtem Erdgas (LNG) werden, wie US-Energieminister Ernest Moniz erklärte, sie wollen auch Europa mit LNG versorgen um so die EU-Staaten, die bisher noch an den Gaspipelines aus Moskau hängen, unabhängiger vom Putin-Land machen. Ist das die neue Energie- Zukunft?

Antwort: Ja, die Kommission wird sich mit LNG im Rahmen der Diversifizierung unserer Energiequellen genauer anschauen, wie in der Energieunion ja auch schon angekündigt:

“Wir werden umfassend das Potenzial von Flüssigerdgas (LNG) prüfen, auch als Reserve in Krisensituationen, in denen über das vorhandene Fernleitungssystem nicht genügend Gas nach Europa gelangt. Eine Zunahme des LNG-Handels wird zu einer Annäherung der Erdgaspreise weltweit beitragen. Die LNG-Preise lagen in den letzten Jahren über den Preisen für Pipelinegas, vor allem aufgrund der hohen Verflüssigungs-, Rückvergasungs- und Transportkosten sowie der Nachfrage in Asien. Um diese Probleme anzugehen, wird die Kommission eine umfassende LNG-Strategie ausarbeiten, die auch die erforderliche Transportinfrastruktur zur Anbindung von LNG-Zugangspunkten an den Binnenmarkt behandeln wird. Das Potenzial der Erdgasspeicherung in Europa und der rechtliche Rahmen für eine ausreichende Speicherung für den Winter werden in diesem Zusammenhang ebenfalls behandelt. Die Kommission wird ferner auf die Beseitigung von Hindernissen für LNG-Importe aus den USA und anderen LNG-Lieferländern hinarbeiten.”
(Seite 5, Mitteilung zur Energieunion: http://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:1bd46c90-bdd4-11e4-bbe1-01aa75ed71a1.0002.01/DOC_1&format=PDF )