Auskunftsersuchen zu Tihange 2: Keine leichte Kost für Brüssel
Was die StädteRegion und ihre Partner mit ihrem an EU-Parlamentspräsident Martin Schulz übermittelten, umfassenden Auskunftsersuchen von der EU-Kommission fordern und erwarten ist in einem Papier der die Anti-Tihange-Allianz begleitenden deutschen Anwaltskanzlei, Düsseldorf (Heuking, Kühn,Lüer, Wojtek), auch für die Presse, aufgelistet worden. Wir bringen hier einen Auszug daraus, den Teil der überschrieben ist: 3. Was fordern die StädtRegion und ihre Partner von der EU-Kommission:
Die StädteRegion Aachen und ihre Partner ersuchen die EU-Kommission,
- die Sicherheitslage im Kernkraftwerk Tihange 2 zu untersuchen,
- mögliche Verstöße des Königsreichs Belgien gegen Regelungen der Europäischen
Verträge zu Umwelt- und Gesundheitsschutz zu prüfen und
- ggf. das Königsreich Belgien aufzufordern, diese Verstöße zu beseitigen.
3.2 Haben die StädteRegion Aachen und ihre Partner einen Anspruch auf ein Tätigwerden der EU-Kommission?
Die Kommunen haben keinen einklagbaren Anspruch auf ein Tätigwerden der Europäischen
Kommission. Gleichwohl möchten die StädteRegion Aachen und ihre Partner die Kommission auf Handlungsmöglichkeiten aufmerksam machen und um ihre aktive Unterstützung bitten.
Die EU-Kommission ist die „Hüterin der europäischen Verträge“. Ihre Aufgabe ist es, die Einhaltung europäischer Vorgaben zum Schutz der Bevölkerung und der Umwelt innerhalb der Europäischen Union sicherzustellen.
3.3 Darf die EU-Kommission überhaupt tätig werden oder liegt der Betrieb eines Atomreaktors allein in der Verantwortung der Mitgliedsstaaten?
Die EU-Kommission darf tätig werden. Die Mitgliedsstaaten sind zwar in der Wahl ihrer
Energieversorgung frei. Gefährdet diese Energiepolitik aber die Umwelt oder die Gesundheit
der europäischen Bevölkerung, darf die Kommission prüfen, ob der Mitgliedstaat die Anforderungen der europäischen Verträge an den Umwelt- und Gesundheitsschutz einhält. Insbesondere Art. 37 EURATOM gibt der EU-Kommission weitgehende Befugnisse, um dem Risiko einer möglichen radioaktiven Verseuchung zu begegnen.
3.4 Welche Auskunftsansprüche stehen der EU-Kommission zu?
Auskunftsansprüche der Europäischen Kommission ergeben sich aus dem Vertrag zur
Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM), dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und aus belgischem Recht.
Die Auskunftsansprüche der Kommission aus den europäischen Verträgen knüpfen an ihre
Aufgaben im Zusammenhang mit dem Umweltschutz und dem Schutz der menschlichen Gesundheit an. Sie stellen sicher, dass die Kommission alle notwendigen Informationen erhält, um ihrer Aufgabe als „Hüterin der Verträge“ gerecht zu werden.
Die im belgischen Recht geregelten Auskunftsansprüche stehen jedermann und damit auch
der Europäischen Union, vertreten durch die Kommission, zu. Sie betreffen unter anderem den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen oder die Öffentlichkeit der Verwaltung.
3.5 Welche Auskünfte soll die EU-Kommission verlangen?
Die EU-Kommission soll alle notwendigen Informationen verlangen, die es ihr ermöglichen,
die Sicherheitslage im Reaktor Tihange 2 zu bewerten und Verstöße gegen europäisches Recht zu prüfen. Hierzu gehören insbesondere:
- die Genehmigung zur Wiederinbetriebnahme von Tihange 2
- sämtliche – insbesondere nicht öffentlich zugängliche – wissenschaftlichen Untersuchungsergebnisse
zur Sicherheitslage des Reaktors
- Angaben zu den Sicherheitsvorkehrungen im Reaktor Tihange 2
- Angaben zu möglichen Unfallszenarien innerhalb und außerhalb der Anlage.
3.6 Welche Verstöße gegen europäisches Recht sind nach Ansicht der StädteRegion
Aachen und ihrer Partner von der Kommission zu prüfen?
- Verstoß gegen das europäische Vorbeuge- und Vorsorgeprinzip
Das in Art. 191 AEUV verankerte Vorbeuge- und Vorsorgeprinzip verpflichtet Mitgliedstaaten, Unfälle zu verhindern, die nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt haben können.
Wenn vernünftige wissenschaftliche Zweifel bestehen, dass sich ein Projekt nachteilig auf die Umwelt auswirkt, darf es nicht genehmigt werden. Die FANC hat die Wiederinbetriebnahme des Kernreaktors Tihange 2 genehmigt, obwohl internationale Experten erhebliche Zweifel daran haben, dass die Sicherheit im Kernreaktor gewährleistet ist. Insbesondere im Störfall besteht aus Sicht der Experten ein erhebliches Risiko eines Unfalls mit schwerwiegenden Auswirkungen auf Mensch und Umwelt (zu den Einzelheiten siehe Ziffer 2).
- Verstoß gegen Art. 37 EURATOM
Art. 37 EURATOM verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Kommission über Pläne zum Betrieb eines Kernkraftwerks zu informieren und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
Die Vorschrift gilt für den Fall der ersten Inbetriebnahme eines Kernkraftwerks.
Aus Sicht der StädteRegion und ihrer Partner besteht diese Pflicht auch, wenn sich die Grundlagen für den Betrieb eines Kernkraftwerks wesentlich verändert haben. Die aufgefundenen Risse im Reaktordruckbehälter und die damit verbundenen Risiken stellen eine solche wesentliche Veränderung dar. Deshalb hätte das KönigreichBelgien die Europäische Kommission vor Wiederinbetriebnahme informieren und deren Stellungnahme abwarten müssen.
- Verstoß gegen die Richtlinie 2013/59/EURATOM
Die Richtlinie 2013/59/EURATOM verpflichtet die Mitgliedstaaten, ein optimales Schutzniveau vor radioaktiver Kontamination sicherzustellen.
Auf Grundlage der Bedenken der Sachverständigen bestehen erhebliche Zweifel daran, ob der Betreiber Electrabel im Kernreaktor Tihange 2 ein ausreichendes Sicherheitsniveau gewährleistet.
- Verstoß gegen die Richtlinie 2014/87/EURATOM
Nach Richtlinie 2014/87/EURATOM müssen Mitgliedstaaten die Unabhängigkeit ihrer Atomregulierungsbehörden gewährleisten.
Gegen die Unabhängigkeit der FANC bestehen jedoch Bedenken. Laut Presseberichten weicht die FANC mit der Wiederinbetriebnahme von ihren im Jahr 2009 aufgestellten Sicherheitsstandards ab, um den Betrieb in Tihange 2 aufrechtzuerhalten. Zudem ist das Königreich Belgien für eine ausreichende Stromversorgung vom Weiterbetrieb des Kernreaktors Tihange 2 abhängig.
Auch bestehen enge Verbindungen zwischen der belgischen Atomindustrie und der Regulierungsbehörde. FANC-Generaldirektor Jan Bens war ca. 30 Jahre für die Atomwirtschaft tätig, arbeitete lange Zeit für Electrabel und leitete 3 Jahre das Kernkraftwerk Doel.
Lesen Sie dazu auch: Hendricks: Trotz Atomausstieg leben Deutsche Büger mit dem Atomrisiko der Nachbarn
Schreibe einen Kommentar