Mit dem Ziel der Klimaneutralität 2045 besteht für über 90 Prozent der bestehenden Gasverteilnetze absehbar keine Verwendung mehr. Das zeigt eine neue Studie von Agora Energiewende, die bereits am vergangenen Dienstag, 18. April, präsentiert wurde. Ohne eine geordnete Stilllegung beziehungsweise eine bedarfsorientierte Umrüstung der Netze auf Wasserstoff drohen bis 2044 gestrandete Vermögenswerte von bis zu zehn Milliarden Euro und eine Versechzehnfachung der Netzentgelte für Gaskund:innen, heißt es auch in der  neuen Studie von Agora Energiewende. Um dies zu vermeiden, benötige es eine rasche Ausrichtung der Regelungen für die Planung und Finanzierung der Gasverteilnetze auf die Klimaziele.

„Der Aufbau einer Infrastruktur für die klimaneutrale Wärmeversorgung erfordert ein schnelles

".. .Der Abschied vom Erdgas und der Umstieg auf grüne Fernwärme und Wärmepumpen stellen neue Anforderungen an das Energienetz“....!" Simon Müller, bild agora
“…Der Abschied vom Erdgas und der Umstieg auf grüne Fernwärme und Wärmepumpen stellen neue Anforderungen an das Energienetz“….!” Simon Müller, bild agora

Umdenken. Der Abschied vom Erdgas und der Umstieg auf grüne Fernwärme und Wärmepumpen stellen neue Anforderungen an das Energienetz“, konstatierte Simon Müller, Direktor Deutschland von Agora Energiewende, anlässlich der Studien-Präsentation. .Und weiter stellte er fest:  „Die geordnete und rechtzeitige Stilllegung der Gasverteilnetze ist eine zentrale Aufgabe in der Wärmewende. Dadurch können die Ausstiegskosten gesenkt und Planungssicherheit geschaffen werden, was Netzbetreibern und Netzkund:innen gleichermaßen zu Gute kommt.“

Und er verwies weiter darauf bei unverändertem Ordnungsrahmen drohten hohe Netzentgelte und Stranded Assets. Denn die Kosten für den Betrieb, die Wartung und den Ausbau der Infrastruktur werden über die Netzentgelte auf die Gaskund:innen umgelegt. Müller zitierte weiter in seinem Statement mit fortschreitender Umstellung auf eine klimafreundliche Wärmeversorgung sinke die Zahl der Gasanschlüsse absehbar, was für die verbleibenden Erdgaskund:innen zu steigenden Netzentgelten führe. Überflüssige Investitionen und fortlaufende Betriebskosten aufgrund eines aufgeschobenen Ausstiegs verstärkten diesen Kostenanstieg. Die Berechnungen der Agora-Studie, die das Beratungsunternehmen BET für den Thinktank durchgeführt hat, zeigen, dass bei derzeitiger Planung und Regelung die Netzentgelte bis 2044 um das Neun- bis Sechzehnfache steigen. Je älter das Netz ist, desto höhere Kostensteigerungen drohen, wenn Neuinvestitionen auf einen dauerhaften Erhalt ausgerichtet sind.

Gleichzeitig ist die Abschreibungsdauer der bestehenden Netze an die Nutzungszeit gebunden, die mit dem Ziel der Klimaneutralität 2045 begrenzt ist. Ohne eine vorausschauende Netzplanung und schnellere Abschreibungen ergeben sich laut Agora ab 2045 gestrandete Vermögenswerte von bis zu 10 Milliarden Euro, auf denen die Netzbetreiber sitzen bleiben.

Agora Energiewende schlägt daher eine Neuausrichtung des Ordnungsrahmens für Gasverteilnetze vor, die auf drei Säulen basiert: Auf einer effizienten Infrastrukturplanung, einem tragfähigen Rahmen für Verteilnetzbetreiber sowie der sozialen Absicherung von Netzkund:innen. Eine effiziente Planung, die eine rechtzeitige und koordinierte Stilllegung von Netzabschnitten beinhaltet, kann die jährlichen Netzkosten und damit den Anstieg der Netzentgelte dementsprechend halbieren. Dies zeigen die für die Studie durchgeführten Hochrechnungen auf Basis von repräsentativen Beispielnetzen. Denn zum einen entfallen durch eine Umstellung auf klimafreundliche Wärme zusehends Betriebskosten für das Erdgasnetz. Und zum anderen kommen weniger Refinanzierungskosten auf.

Eine effiziente Infrastrukturplanung stellt laut dem Agora Vorschlag sicher, dass die Planungen für Wärme-, Strom- und Gas- beziehungsweise Wasserstoffnetze zusammengedacht werden und auch die Verfügbarkeit von erneuerbarem Wasserstoff berücksichtigen. „Alle großen Energiesystemstudien zeigen, dass nur ein Bruchteil des heutigen Erdgasbedarfs durch erneuerbaren Wasserstoff ersetzt

.Ein kluger Ordnungsrahmen ist daher an den Klimazielen ausgerichtet, verhindert kostspielige Fehlinvestitionen und ermöglicht frühzeitige Stilllegungen von Erdgasnetzen ...!" Simon Müller, bild agora
“…Ein kluger Ordnungsrahmen ist daher an den Klimazielen ausgerichtet, verhindert kostspielige Fehlinvestitionen und ermöglicht frühzeitige Stilllegungen von Erdgasnetzen …!” Simon Müller, bild agora

werden wird“, konstatierte  Müller weiter. Im Schnitt gehen die Studien davon aus, dass 2045 der Wasserstoffbedarf weniger als 30 Prozent des aktuellen Erdgasbedarfs betragen wird und vor allem in Kraftwerken und Industrieanlagen anfällt. „Das hat direkte Auswirkung auf den Umfang der benötigten Infrastruktur. Eine kluger Ordnungsrahmen ist daher an den Klimazielen ausgerichtet, verhindert kostspielige Fehlinvestitionen und ermöglicht frühzeitige Stilllegungen von Erdgasnetzen.“ Dazu gehöre auch, die bedarfsorientierte Umrüstung von Teilen des Netzes auf Wasserstoff zu erleichtern.

Der Gesamtwert des Erdgasnetzes liegt heute bei maximal 60 Milliarden Euro, was etwa 20 Prozent des geschätzten Neuwerts entspricht. „Der Großteil der Netz-Investitionen ist trotz der langen Abschreibungsdauer von rund 45 Jahren bereits refinanziert, so dass der Restwert im Verhältnis zum Neuwert überschaubar ist“, sagt Müller. Allerdings wurde 2021 noch die Rekordsumme von 1,1 Milliarden Euro für den Bau von neuen Erdgasnetzen ausgegeben.

Eine verbindliche Planung könnte solche Fehlentwicklungen aufhalten und aufzeigen, welche Infrastrukturinvestitionen tatsächlich notwendig sind. Um wirtschaftliche Nachteile auszugleichen, schlägt Agora vor, den Betreibern die vollständige Abschreibung der Netzinvestitionen bis 2045 zu ermöglichen und Stilllegungen von künftig nicht mehr benötigten Netzteilen anzureizen.

Lesen Sie dazu auch unseren Bericht: Vormarsch der Wärmepumpe erfordert: Politischen Dialog zur Zukunft der Gasnetze

und auch: „… den Rückbau der Gasnetze zu plan, ist grob fahrlässig …!!!“