Die StädteRegion Aachen und Greenpeace Deutschland kämpfen ab sofort gemeinsam gegen Tihange. Das haben Städteregionsrat Helmut Etschenberg (li.) und Thomas Breuer, der eigens zum Gespräch aus Hamburg angereist war, jetzt in Aachen vereinbart.
Die StädteRegion Aachen und Greenpeace Deutschland kämpfen ab sofort gemeinsam gegen Tihange. Das haben Städteregionsrat Helmut Etschenberg (li.) und Thomas Breuer, der eigens zum Gespräch aus Hamburg angereist war, in Aachen vereinbart.

U&E – Interview mit  StädteRegionsrat Helmut Etschenberg.

Die StädteRegion Aachen, die zusammen mit Greenpeace Deutschland vor belgischen Gerichten und vor dem obersten belgischen Verwaltungsgericht, dem Staatsrat, gegen die Inbetriebnahme des belgischen Atomreaktor Tihange klagt ( wir berichteten, s. unten), vermisst dabei eine deutlichere Unterstützung von Bundesumwelt-ministerin Barbara Hendricks, erklärte StädteRegionsrat Helmut Etschenberg im Intervew mit Umwelt- und Energie-Report. Die Region und weitere Städte und Gemeinden darüber hinaus bereiten sich inzwischen auf einen möglichen atomaren Crash vor.

Die deutsche Bundesregierung, Städte Gemeinden, ganze Regionen befürchten einen möglichen Gau im grenznahen Atommeiler Tihange in  Belgien, bild u&e
Die deutsche Bundesregierung, Städte Gemeinden, ganze Regionen um Aachen befürchten einen möglichen Gau im grenznahen Atommeiler Tihange in Belgien, bild u&e

Rund 1,2 Mio Menschen leben auf deutscher Seite im Umkreis von etwa 100 Kilometer um den Pannenreaktor Tihange. Käme es zum atomaren Gau erlebte Deutschland eine weitere Fluchtwelle von Bürgern die sich vor den tödlichen Strahlungen des Reaktors retten wollen.

Wir haben Etschenberg auch danach gefragt, wie sich die Region auf einen möglichen Gau des Atomreaktors vorbereitet.
Der Reaktor war wegen Tausender Haarrisse im März vergangenen Jahres abgeschaltet worden, wurde aber trotz zahlreicher Proteste von deutschen und belgischen Bürgern, im Dezember wieder hochgefahren.

Frage: Der Atommeiler Tihange 2, rund 70 Kilometer von Aachen entfernt, kann nach leichter Belastung ‚wirklich bersten‘ zitiert Bündnis-Sprecher Jörg Schellenberg Einschätzungen von Wissenschaftlern. Teilen Sie die Einschätzung? Konkret gefragt: Fürchten Sie sich vor einem Gau und betreiben deshalb die Stilllegung des Reaktors?

StädteRegionsrat Helmut Etschenberg:
StädteRegionsrat Helmut Etschenberg:

Antwort: Ich bin kein Techniker und kann das insofern natürlich nicht abschließend beurteilen, aber, in den vergangenen Wochen ist es in den belgischen Atomkraftwerken Doel und Tihange zu etlichen Störfällen gekommen – dies wirft Fragen auf, auf die wir in der Region Antworten erwarten. Die Menschen in der „DreiländerRegion“ rund um Aachen sind deshalb zutiefst verunsichert und besorgt. Schließlich ist Aachen nur 65 Kilometer Luftlinie von Tihange entfernt. Im Dezember haben zuletzt rund 1.500 Menschen für die Stilllegung des belgischen Atomkraftwerks demonstriert. Ihre Sorgen und Nöte blieben jedoch bislang von den Verantwortlichen weitestgehend unbeachtet. Deshalb haben wir uns entschieden, das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen.

Frage: Wie beurteilen Sie die Verhaltensweise der belgischen Behörden, die den Reaktor trotz aller vorgebrachten Befürchtungen, auch jüngst erst durch die Bundesumweltministerin Barbara Hendricks verstärkt geschehen und der, auch von den Experten des Ministeriums belegten technischen Mängel, trotzdem wieder ans Laufen gebracht haben?

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks  trägt in Brüssel ihre Bedenken gegen Tihange vor ...
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks trägt in Brüssel ihre Bedenken gegen Tihange vor …

Antwort: Die bisherige Haltung von Bundesumwelt-ministerin Dr. Barbara Hendricks erweckt bei mir starke Zweifel, ob unsere Befürch-tungen mit dem gebotenen Nachdruck vorgetragen wurden. Anders kann ich mir nicht erklären, weshalb sie in einem anschließenden Pressegespräch unsere Klage gegen Tihange 2 eher geringschätzig bewertet hat. Hier vermisse ich eine deutlichere Unterstützung von Bund und Land, zumal der Presse zu entnehmen ist, dass die Urananreicherung für belgische Atomkraftwerke auch in Deutschland und sogar hier in NRW erfolgt. Die Frage, ob sich die belgischen Behörden gesetzeskonform verhalten haben, ist Gegenstand unserer Klage. Hierzu werde ich an dieser Stelle keine weiteren Ausführungen machen.

Frage: Hat sich die StädteRegion nun, neben den beginnenden juristischen Auseinandersetzungen, auch verstärkt auf einen möglichen größeren atomaren Unfall vorbereitet? Gibt es einen dazu ausgearbeiteten Katastrophenplan?

Antwort: Die Analyse und wissenschaftliche Auswertung der Reaktorkatastrophe in Fukushima hat vor etwa einem Jahr zu Veränderungen bei den Empfehlungen der Strahlenschutzkommission geführt. Insbesondere wurde die Einteilung der Zonen rund um Kernkraftwerke verändert. Demnach liegt das komplette Gebiet der StädteRegion Aachen nunmehr in der sogenannten „Außenzone“ des belgischen Atomkraftwerks Tihange. In der „Außenzone“ haben die Katastrophenschutzbehörde im Ernstfall für eine Mitteilung an die Bevölkerung zu sorgen (beispielsweise über Radio, Fernsehen, Internet und soziale Medien). Die Einzelheiten sind im Strahlenschutzvorsorgegesetz geregelt. Demnach wäre im Falle eines Reaktorunfalls davor zu warnen frisch geerntete Lebensmittel zu verzehren oder sich im Freien aufzuhalten.

Gemeinsam mit der belgischen Greenpeace gegen den belgischen Pannenreaktor Tihange ( v. links) Städteregionsrat Helmut Etschenberg, Dr. Ute Jasper von der beauftragten Kanzlei aus Düsseldorf und Jan Vande Putte von Greenpeace Belgien
Gemeinsam mit der belgischen Greenpeace gegen den belgischen Pannenreaktor Tihange ( v. links) Städteregionsrat Helmut Etschenberg, Dr. Ute Jasper von der beauftragten Kanzlei aus Düsseldorf und Jan Vande Putte von Greenpeace Belgien

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Versorgung der Bevölkerung mit Kaliumiodidta-bletten.
Der Katastrophenschutz der StädteRegion Aachen verfügt über eine ausreichende Menge an Kalium-iodidtabletten, um die Menschen von 0 bis 45 Jahren zu versorgen. Bei der Verteilung der sogenannten Jodtabletten ist die StädteRegion Aachen auf die Unterstützung der regionsangehörigen Kommunen angewiesen. Deshalb lagert der überwiegende Teil der Tabletten an zentralen Stellen in den Kommunen. Katastrophenschutzexperten der Länder arbeiten derzeit an der bestmöglichen Lösung, die Bevölkerung im Ernstfall rechtzeitig und situationsgerecht – mit Jodtabletten zu versorgen.
Eine Evakuierung der Bevölkerung ist in der Außenzone (und damit auch hier in der StädteRegion Aachen) nicht vorgesehen.”

Lesen Sie dazu auch unseren Bericht: Deutsche Städte klagen gegen belgischen Atommeiler Tihange 2

Und auch: Hendricks: Trotz Atomausstieg leben deutsche Bürger mit dem Atomrisiko der Nachbarn